Medikamente – Teil 3 – Jahrhunderte des Halbdunkels

26. Mai 2013
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Während der Epoche vom 4. bis zum 13. Jahrhundert, die wir als Mittelalter kennen, machte die westliche Medizin keinerlei Fortschritte. Auf diesem Gebiet gelang es den Römern nicht, über die Barbaren zu triumphieren, diese nicht von ihrem Glauben an magische Heilkräfte der Mistel und einiger anderer Pflanzen abzubringen.

In diesen Jahrhunderten herrschten die Hexen als Meisterinnen der Beschwörung und der Zauberei. Sie besaßen geheimnisvolle Rezepte für Zaubertränke, die Schlaf, Fruchtbarkeit und Liebe zu bringen vermögen; ein solcher Liebestrank vereinte z.B. der Sage nach Tristan und Isolde. In dieser geheimnisvollen Welt voller Feen und Zauberer vermengte sich die Wirklichkeit mit der Legende: Heilpflanzen wie Salbei, Mandragora, Eisenkraut und Spitzwegerich gelangten weniger wegen ihrer tatsächlichen Wirkung zur Anwendung, eher wegen ihrer angeblichen magischen Kraft.

Mit dem zunehmenden Einfluss des Christentums flüchtete die Medizin in die Klöster, wo die grenzenlose Hilfsbereitschaft der Mönche ihr Unwissen wettmachte. Als sehr eifersüchtige Hüter der Tradition pflanzten die Mönche die 16 Heilkräuter an, die als Grundlage jeglicher Therapie galten: Salbei, Kresse, Fenchel, Pfefferminze, Lilie usw. Diese Mönche vollbrachten ein wahres Wunderwerk der Nächstenliebe, da sie als einzige zu Samariterdiensten bereit waren; ihre wissenschaftlichen Beiträge waren aber nicht der Rede wert.

Im Gegensatz zum Stillstand der Medizin im Westen machte die medizinische Entwicklung im Orient weiterhin unaufhaltsam Fortschritte. Der Medizin des Byzantischen Reiches waren wichtige Fortschritte in der Anwendung von Klistieren, dem Gebrauch von Nieswurz und auch in der Gichtbehandlung mit Herbstzeitlose zu verdanken. Die schwarze Nieswurz, eine abführende Heilpflanze, wird heute nicht mehr verwendet, wobei man lange an ihre Heilkraft für Geisteskrankheiten glaubte.

Kanon der Medizin - Avicenna

Kanon der Medizin von Avicenna
Hier die erste Seite einer Abschrift von 1597/98
Quelle: Wikipedia

Der größte byzantinische Arzt war Alexander von Tralles: Im 6. Jahrhundert schon behandelte er Spul- und Madenwürmer durch Einläufe mit ätherischen Ölen und den Bandwurm mit Granatapfelkernen. Er erkannte ebenfalls schon die ungünstige Nebenwirkung von Opium bei Lungenkrankheiten. Er stellte fest, dass es sehr geschwächte Patienten töten konnte. “Obwohl es hustenstillend und einschläfernd zu wirken scheint, verschlimmert es in Wahrheit die Stauung im Brustkorb in solchem Maße, dass viele Kranke ersticken, als würden sie mit einer Schnur erdrosselt.” Heute hüten sich die Ärzte, denen diese Gefahr bekannt ist, bei gewissen Krankheiten vor der Verordnung von Morphium.

Zur Zeit der arabischen Eroberungszüge des Mittelalters machten Medizin und Therapeutik auch in den Zentren der orientalischen Kultur (Isfahan, Samarkand, Bagdad, Damaskus) bemerkenswerte Fortschritte. Avicenna schrieb im Jahr 1000 seinen “Kanon der Medizin”. Zum ersten Mal erwähnte er den noch heute vielfach verwendeten Eisenhut und empfahl im Falle von Blutarmut die Behandlung mit Rindermark. Die siegreich vordringenden Araber verbreiteten ihr Wissen in Europa.

Averroes aus Córdoba empfahl bei argem Kräfteverfall die künstliche Ernährung durch in die Speiseröhre (oder den After) eingeführte Sonden, oder durch Einritzung in die Haut. Er entwickelte neue Formen der Medikamente: Elixiere und Sirupe. Wie aus der zu Beginn des 12. Jahrhunderts verfassten Pharmakopoié des Bischofs von Bagdad ersichtlich ist, wurden erstmals Sublimat, Salz- und Salpetersäure, rotes Quecksilberoxyd sowie Silbernitrat verwendet. All diese Neuerungen leisten unseren Ärzten noch heute gute Dienste.

Das zu Beginn des 13. Jahrhunderts geschriebene Arzneibuch der Kairoer Schule vermittelt uns einen Begriff von der Vielfalt der pflanzlichen Drogen, die zu dieser Zeit im Orient verwendet wurden. Es enthält vierzehnhundert botanische Arten, von denen 300 bis dahin unbekannt gewesen waren. Dank ihrer günstigen Lage genoss die medizinische Schule von Salerno vom 8. – 12. Jahrhundert Weltruf. Als erster Verbindungspunkt zwischen Okzident (westlicher Welt) und Orient ließ sie das medizinische Wissen der Araber und Byzantiner nach Europa gelangen. Ihr war es zu verdanken, dass sich im Westen eine unabhängige, von religiösen und philosophischen Vorurteilen befreite Medizin entwickeln konnte.

Alchemist - Pieter Bruegel the Elder

Pieter Bruegel der Ältere. Der Alchemist (1558) als Kupferstich von Philipp Galle
Quelle: Wikipedia

So entstand 1220 die Schule von Montpellier. Ohne weitere Fortschritte gemacht zu haben, behielt die Pflanzentherapie ihren hervorragenden Ruf, jedoch spielten nach wie vor Magie, Hellseherei und Astrologie eine wichtige Rolle. Man glaubte unter anderem auch an die Heilkräfte von Edelsteinen, Amuletten und seltsamen Gegenständen: Hirschgeweih, Schneckenfleisch, Vogelmist, Krötenöl usw…

Die beginnende Alchimie suchte mit ihren unverständlichen und geheimnisumwitterten Verfahren nach dem Allheilmittel für sämtliche Leiden – dem Stein der Weisen. Mit ihren seltsam geformten Retorten (Destilliergefäßen) und ihren komplizierten Geräten wurde sie zum Vorläufer der Chemie mit ihren wissenschaftlichen Methoden.

In Frankreich erhielten die Arzneiverkäufer unter König Ludwig IV. dem Heiligen den Titel “Apothecarius”. 1350 erließ Karl IV. eine Verordnung, um die Berufsrechte der Apotheker und Ärzte zu schützen. Allerdings kam es häufig zu Streitigkeiten, weil keine der zwei Berufsgruppen darauf verzichten wollte, in das Gebiet der anderen einzugreifen.

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