Die Hundbiss Sage

3. Februar 2013
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Sagen, Geschichten und Märchen

Im Konstanzer Münster kann man im gotischen Kreuzgang, der die Besucher zur berühmten Mauritiuskapelle des Münsters führt, eine Unzahl großer, alter Wappenschilde betrachten, die die Zeichen der Edlen aus dem ganzen Bodenseegebiet tragen.

Unter all den Helmen und Schilden mit stolzer Adler- oder Schwanenzier, grimmigen Eberköpfen, wilden Löwen-, Bären- und Greifengestalten fällt dem aufmerksamen Betrachter vor allem ein Schild ins Auge. Dieser Schild zeigt eher seltene Wappentiere, nämlich drei silberne Hunde im ersten und vierten Wappenviertel. Die Helmzier zeigt einen schwarzen, mit einer goldenen Krone gekrönten Wolf. Dies sind die Zeichen der Familie derer zu Hundbiss (Hundbiß, Humpiß); einer ursprünglich zum Ravensburger Patriziat gehörenden Familie.

Über die Entstehung dieser außergewöhnlichen Wappenzier weiß die Leutsag’ folgende Geschichte zu berichten:

Vor etlichen hundert Jahren hatte ein Edelmann aus der Ravensburger Gegend sich in Argenbühl im Allgäu eine schöne Burg gekauft und lebte dort mit seiner Gemahlin und seinen Ehalten.

Die Burg stand fest und die Dienerschaft war treu ihrem Herrn ergeben und verrichtete riegelsam und emsig die tägliche Arbeit. Im ganzen Rund wussten sie, dass der Herr von Hundbiss ein aufrechter, mutiger und dieweil herzensguter Mann war, der sein Gesinde streng, aber gerecht behandelte, sodass alle gern bei ihm Dienst taten. Den Nachbarn und der ganzen Gemeinde war er als ein demütiger und zupackender Mann bekannt, auf den man immer zählen konnte. Die Bewohner der Burg mussten auch keine Einschränkungen fürchten, weil die Familie des Burgherren dem Bund der Patrizier in Ravensburg angehörte und darüber hinaus im Kaufmannsstand der reichen Stadt verwurzelt war und vom Handel in der Stadt also guten Nutzen hatte.

Der Herr der Burg war aber einmal vom Landesherren zu seinen Lehenpflichten gerufen worden und stand mit seinem Tross im Feld, während sein Weib die Schlüsselgewalt über die Burg innehatte.

Konstanz Münster Kreuzgang

Titel: Konstanzer Münster, Kreuzgang
Foto: Fb78
Original-Datei: Konstanzer Münster, Kreuzgang
Lizenz: creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de
(Quelle: Wikipedia)

Die Gemahlin des Herren zu Hundbiss war eine hoffärtige, kalte und gewissenlose Frau, die ihrem Geschlecht nicht zur Zierde gereichte. Allein ihren eigenen Vorteil im Blick, war sie launisch, unberechenbar und gefühllos. Die Knechte und Mägde gingen ihr, wann immer es möglich war, aus dem Wege und selbst die Tiere auf der Burg mieden sie, so gut sie es vermochten. Allein ihrem Eheherrn machte sie ein freundliches Gesicht, weil er sie kleidete und ernährte. War er aber im Feld, so beklagte sie, dass er sie mit all der Arbeit auf der Burg allein gelassen habe und sich in der Fremde vergnüge, während sie allein die Last des Lebens auf der Burg zu tragen habe. Dass ihr Mann sein Leben einsetzte dafür, dass Volk und Heimat nicht von Feinden überrannt wurden, kam ihr nicht in den Sinn.

So führte die Herrin auf Burg Hundbiss also das Regiment, und je mehr sie das Gesinde antrieb und bestrafte, desto weniger schien die Arbeit von der Hand zu gehen. Die kleine Küchenmagd, die auf das Feuer im Herd achten sollte, ließ es dreimal ausgehen vor Angst, dass es ihr ausginge; und als es endlich wieder brannte, ließ die gute, alte Köchin, die schon ihr ganzes Leben für die Familie der Hundbiss gekocht hatte, das Mittagessen anbrennen, weil sie ständig zur Küchentür hinausspähte, um zu sehen, ob die Herrin sich näherte. Die Knechte, denen die Herrin ständig neue Arbeiten zur täglichen Arbeit dazu auflastete, begannen, sich vor ihr zu verstecken, vor allem die Jäger waren darin so erfolgreich, dass es so gut wie kein Wildbret mehr auf der Burg gab.

Auch die Christenpflichten waren der Herrin zu Hundbiss nicht am Herzen gelegen. Sie kümmerte sich nicht wie ihr Mann um die Armen der Gemeinde oder die Waisen im Dorf. Auch wurden, wenn der Burgherr auf seinem Stammsitz weilte, Bettler, die an die mächtige Eichentüre der Burg klopften, hereingelassen und mit Speis und Trank versorgt, durften sich ausruhen von der Last ihres Daseins, bevor sie weiterzogen, und wenn eines verletzt oder siech war, wurde geholfen, so gut es ging. Weil die mächtige Fahne mit dem Wappen der Familie, einem halbierten Wappenschild mit einem wachsenden schwarzen Bocksrumpf auf silbernem Grund in jeder Hälfte, weithin übers Land allen verkündete, wenn der Burgherr in seiner Burg weilte, kamen die Bettler und Fahrenden oft und kein Tag verging, dass nicht jemand um Hilfe in der Burg fragte.

Als aber nun die Ehefrau des Hundbiss die Statthalterin ihres Gatten sein musste, fuhr sie wie ein böses Wetter in das kleine Häuflein der Armen vor der Burgtüre. Sie schimpfte und wetterte und drohte gar, die Hunde loszulassen, sodass sich die Hilfesuchenden schnell davonmachten und sich die Kunde von der üblen Frau auf dem Berg schnell umtat. Keiner klopfte daraufhin mehr an die Burgtüre, um für Brot oder Dünnbier eine Geschichte oder Neuigkeiten aus dem Umland einzutauschen, und es wurde ruhig auf der Burg.

An einem drückend heißen Abend, der einem gleißenden Sonnentag gefolgt war, verdrängten hohe dunkle Wolken ein giftiges Abendrot und ballten sich rund um den Horizont der Burg wie eine Mauer aus grausteinernen Riesenfäusten. Die Burg lag still auf ihrem Felsen und kein Laut drang aus den Mauern.

Sehr langsam und nahe der Erschöpfung schleppte sich eine kleine, gebückte Gestalt auf das grobe Eichentor der Burg zu. Zitternd hob sich eine runzlige kleine Faust und klopfte zögerlich an die Türe im Burgtor. Viel zu leise waren die Schläge und nichts rührte sich. Noch einmal hob sich die Hand und schlug fast bittend gegen die Türe.

Ein Geräusch auf der inneren Seite der Tür, schnelle Schritte, einen Spalt breit wurde die Tür nach innen gezogen, und ein junges Gesicht erschien.

“Was wollt ihr?” fragte die jüngste Stallmagd, die auf dem Weg vom Melken mit dem Milcheimer zur Küche gewesen war und das schüchterne Klopfen gehört hatte. Gleich fiel ihr aber ein beim Anblick des alten und ausgemergelten Weibleins, das da in grüne Lumpen gehüllt vor ihr stand, mit Haaren wie graulichtes Moos, dass die Herrin noch diesen Morgen gedroht hatte, jeden aus der Burg zu werfen, der sich erdreiste, fahrendem Bettelvolk auch nur einen Gruß zu schenken. Schnell wollte die Dirn daher den Riegel wieder vorschieben, aber die bittenden Augen des Weibleins ließen sie innehalten.

“Hab’ Hunger, hab’ Durst. Kann nirgend sitzen. Bin nirgend gelitten. Muss weinen, ein ums andere Mal,” sagte das Weiblein und schüttelte mit dem Kopf dazu. Die Dirn überlegte nicht lang, machte mit den Händen ein Schüsselchen und fing damit Milch aus dem Eimer auf. Ihre Hände mit der kuhwarmen Milch hielt sie dem kleinen Weiblein hin, damit es wenigstens ein wenig haben sollte, bevor es weiter musste, wie das Mädchen es von ihrem guten Herren gelernt hatte.

Noch bevor die Milch die faltigen Lippen des Weibleins benetzt hatte, erhielt das Mädchen einen Schlag zwischen die Schulterblätter, dass sie vor dem Weiblein auf die Knie fiel und die Milch aus den Händen des Mädchens im Staub des Torweges versickerte. An den Zöpfen wurde die arme Dirn gepackt und grausam nach oben gerissen. Ein weiterer Stoß traf sie diesmal an der Schulter, so dass sie an den hölzernen Türrahmen schlug und zu Tode erschrocken in das zornverzerrte Gesicht ihrer Herrin blickte.

“Geh”, zischte diese in das schreckensbleiche Gesicht der Magd, “geh und teile die Straße mit diesem Gesindel, wenn Du etwas teilen willst! Teile ihr armseliges Leben! Hier ist kein Platz mehr für dich!” schrie sie am Ende und warf das Mädchen aus dem Tor, indem sie sie an den Schultern packte und gleich einem Kätzchen auf die Straße schleuderte, sodass die Dirn dort im Staube liegen blieb. Schon wollte die Burgherrin die Tür zu schlagen, da trat das Weiblein einen Schritt auf sie zu und hielt die Hände auf.

“Was? Hast du nicht verstanden, was wir hier von dir und deinesgleichen halten?” fragte höhnisch die böse Frau.

“Ich bitte euch, vergebt den Mädchen. Ich bat sie nur um ein wenig zu trinken und zu essen. Es ist meine Schuld, ich wusste nicht, dass es ihr verboten war, etwas zu geben,” entgegnete das Weiblein daraufhin mit leiser Stimme.

“So, nur Essen und Trinken wolltest du. Für Dich? Oder etwas mehr, auch für jemand anderen?” fragte die Herrin tückisch.

“Nicht allein für mich wollte ich bitten. Ich hab’ ein Kind, das Hunger leidet und ich kann ihm nichts mehr geben. Wie ich nun vor längerer Zeit hörte, auf dieser Burg werde jedem geholfen, so dachte ich, ich bitte Euch demütig um Nahrung für meine Kind.” Eine Weile blieb es still nach der Erklärung des Weibleins, dann begann die Herrin der Burg zu lachen, kein freundliches oder glückliches Lachen, nein. Hart und höhnisch, verächtlich und voller Spott lachte sie das Weiblein vor sich aus.

“So, ein Kind! Wer hätte sich wohl soweit vergessen können, mit dir ein Kind zu haben? Alt und faltig bist du, hast nichts außer dem Dreck in deinen Haaren! Du bist nichts, niemand! Wenn du gehst von der Welt wird nichts von dir bleiben, keinem wirst du fehlen. Und wenn du tatsächlich ein Kind hast, wieso hast du es bekommen, wenn du wusstest, dass du nichts hast, um das Balg zu füttern? Wie? Wenn du dich schon zu einem gelegt hast und er sich zu dir, – pfui Teufel -, wieso hast du keine Engelmacherin besucht, danach? Was? Hast euren Wechselbalg nicht ersäuft nach der Geburt, wie eine Katze oder einen Hund, den keiner will?”

Während dieser Rede der Furie hatte sich die Dirn, die im Staub vor dem Tor gelegen hatte, wieder aufgerichtet und flehentlich die Hände erhoben, um die harte Frau um Vergebung zu bitten. Aber als sie hörte, was aus dem Mund der Tobenden fuhr, sanken die Hände herab, sie wich zurück und legte eine Hand erschrocken auf den Mund.

Auch das Weiblein hatte die Hände sinken lassen, es hatte still stehend die Hassrede der Burgherrin angehört.

Wappenscheibe des Hans Humpis 1490

Wappenscheibe des Hans Humpis, 1490, aus dem Kleinen Sitzungssaal des Ravensburger Rathauses
(Quelle: Wikipedia)

Ein heißer kleiner Wind fegte vor ihren Füssen eine Handvoll Blätter über den Torweg und die schweren, grauen Wolken hatten sich so um die Burg zusammengezogen, dass das letzte kleine Stück Himmel verschwunden war und Finsternis sich über die drei Frauen am Burgtor legte. Das schwefelgelbe Wetterleuchten aus den grauen Riesenwolken beleuchtete das Weiblein, mit dem sich eine sonderbare Wandlung vollzog. Die Luft um das Weiblein schien sich zusammen zu ziehen, zu verdichten und die verhärmte, kleine Gestalt wuchs unversehens, veränderte ihre Haltung, die Proportion, bis eine eindrucksvolle, schlanke, große Frau vor der erschrockenen Burgherrin stand, und war in schiere, dunkle Seide gehüllt, die der Wind des aufziehenden Gewitters bewegte wie ein dunkles Banner. Hochaufgerichtet stand die Erscheinung über der Herrin der Burg, erhob die rechte Hand und deutete auf sie und sprach:

” Zum Dank für deine Hilfe und als Lohn soll über dich kommen dies: Du sollst trächtig werden, wie Hunde und Katzen es werden, und du sollst werfen so viele von deiner Art, wie Monate sind im Jahr!” daraufhin fuhr ein helllichter Blitz vom Himmel und die Burgherrin stand mit der Stallmagd allein vor dem Tor.

Schnell liefen sie unter das schützende Dach der Burg und flohen so das Unwetter, das nun begann über der Burg zu toben, ganze zwei Tage lang. Am dritten Tag rief die Burgherrin die Stallmagd zu sich und verabreichte ihr eine Tracht Prügel für das Öffnen der Türe. Sie ließ die Dirn aber bleiben, mit dem strengsten Befehl zu schweigen und nie wieder die Türe zu öffnen.

Als die Monate ins Land zogen, wurde die Burgherrin gewahr, das der Fluch, der sie ereilt hatte, sich an ihr vollzog. Sie war in der Hoffnung und gebar nach der Zeit tatsächlich zwölf Söhne, wie es ihr gesagt worden war.

Gleich nach der Geburt, bei der zu helfen die Herrin nur dem Stallmädchen erlaubte, befahl sie diesem: “Nimm elf von den Kindern – gleich welche – leg’ sie in einen Korb und trag sie hinunter zum Mühlbach. Dort wirf sie ins Wasser. Mein Gemahl, dein Herr wird in ein paar Tagen zurück nach Haus kommen und ich möchte nicht, dass er vor dieser Monstrosität erschrickt. Einen lass’ mir da, der Herr wird sich über einen Sohn freuen. Geh’ und sprich mit keinem Menschen darüber, sonst jage ich dich fort. Fragt einer, was in jenem Korb sein, so sage, die Hündin hätte geworfen, es wären Welpen, die ersäuft werden müssten.”

Als die Dirn nun mit dem Korb auf dem Weg zum Mühlbach war, kam der Herr früher als erwartet nach Hause zurück. Erfreut, schon auf dem Weg zur Burg einen der Seinen zu treffen, hielt er die Magd an und fragte nach dem woher und wohin. Widerstrebend erzählte das Mädchen, was die Herrin ihr befohlen hatte und als der Herr sehen wollte, was sie in dem Korb bei sich trug und ihn öffnete, obwohl sich zierte und verwerte, gestand sie ihm weinend die Wahrheit und berichtete getreulich, was sich in jener Nacht vor dem Burgtor zugetragen hatte.

Der Edelmann bedeckte seine Augen mit seinen Händen und schwieg lange Zeit. Dann befahl er der Magd, die Kinder zu braven Leuten im Dorf zu bringen, die er kannte und diese zu bitten, die Kleinen wie ihre eigenen Söhne aufzuziehen. Es solle an nichts fehlen, aber sie müssten schweigen, wie auch die Magd, der der Herr befahl, danach zur Herrin zu gehen und zu tun, als habe sie dem Befehl der Frau gehorcht und getan, wie ihr geheißen.

So geschah es und die Jahre zogen ins Land.

Am zwölften Jahrestag der Geburt seiner Söhne gab der Herr zu Hundbiss in seiner Burg ein großes Fest und hatte alle Nachbarn und alle edlen Verwandten aus Ravensburg und auch den Richter und die Schöffen der Stadt zum Fest geladen. Seine elf geheimen Söhne hatte der Herr heimlich auf die Burg bringen und sie in einer Nebenkammer des Festsaales verbergen lassen.

Beim Festmahl brachte der Graf das Gespräch am Tisch ganz unauffällig auf die Rechtsprechung und die Urteilsfindung und alle hatten dazu vieles zu sagen. Ganz nebenbei fragte der Burgherr da auch seine Frau:

„Sag mir, meine Gemahlin, was für eine Strafe erscheint dir einer Mutter angemessen, die willentlich ihr Kind mordet?“

„Oh!“ fuhr diese auf und alle Gäste wandten sich ihr zu, „eine, die zu solch einer schrecklichen, verabscheuungswerten Tat fähig ist, verdient von wilden Hunden zerrissen zu werden!“

„So hast du dir selbst dein Urteil gesprochen,“ sagte ihr Mann in großem Ernst traurig zu ihr. Er gab den Lakaien einen Wink und diese führten die elf Brüder des Sohnes, der zwischen ihm und der Mutter an der Tafel saß, herein. Auch die Stallmagd war hereingetreten und berichtete nun vor allen Gästen, vor dem Richter und den Schöffen, was sich vor zwölf Jahren zugetragen und wie sehr die Burgherrin sich schuldig gemacht hatte. Die hochmütige Herrin zu Hundbiss fiel, nachdem die Magd geendet, vor dem Herrn auf die Knie und bekannte sich, bereute und weinte bitterlich.

Da der gute Herr zu Hundbiss ein mitleidendes Herz hatte und glaubte zu sehen, dass die Reue der Frau wahrhaftig war, erließ er ihr die Strafe und ermahnte sie, in Zukunft fürsorglicher für andere zu leben und mit dem Rest ihres Lebens ihre begangenen Sünden wieder gut zu machen.

Das Fest endete, so geht die Sage, in großer Freude und Erleichterung aller, dass kein blutiges Ende nötig gewesen.

Und noch lange war die Großmut des Herren zu Hundbiss in aller Munde.

Seither und zur Erinnerung an jene Begebenheit, trägt die Familie Hundbiss in ihrem Wappen noch heute zwei Felder mit je drei springenden, silbernen Hunden.

Eine selbstgezimmerte Geschichte, bestehend aus alten Theilen – für Euch

Vom Hojeweible

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