Vom Prinzen, der auszog, einen Drachen zu erschlagen

23. Dezember 2012
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Ein junger Königssohn wollte sich beweisen und einen Drachen erschlagen, machte sich auf den Weg, fand eine Drachenhöhle und schlich langsam ins Dunkel… kein Drache nirgends..

Plötzlich spürte er ein Gewicht auf seiner Schulter, drehte den Kopf und starrte genau dem Drachen ins Maul, der ihn mit einer Kralle festhielt und im nächsten Moment versengen würde. Aber der änderte seine Meinung und hatte Lust auf ein Spielchen: “Du bist gekommen, mich zu erschlagen??! Nun, ich gebe dir eine Chance. Du hast ein Jahr Zeit, mir die Antwort zu bringen auf die Frage, die dein Leben retten kann – und denke ja nicht, du könntest dich vor mir verstecken! Beantworte mir folgende Frage: Was wünscht sich jede Frau wirklich? Wenn du mir das sagen kannst, lasse ich dich am Leben.”

Virginal Cod Pal germ 324 - Drachenkampf Rentwins

Virginal
Hagenau – Werkstatt Diebold Lauber, um 1444-1448
Drachenkampf Rentwins
Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg
Lizenz: Creative Commons-Lizenz cc-BY-NC-SA

Schlotternd verließ der Jüngling die Drachenhöhle und begab sich auf das königliche Schloß. Ein Jahr lang befragte er alle Frauen nach ihren Wünschen – junge und alte, reiche und arme, ledige, verheiratete, verwitwete…

Ein Jahr lang hörte er sich die Antworten der Frauen an – aber leider wünschten sich alle etwas anderes, ja, manche verabscheuten gerade das, was andere von Herzen ersehnten. Als er gar nicht mehr weiter wußte, riet ihm seine Amme, in den Wald zu gehen und eine alte Hexe zu befragen, die im Rufe großer Weisheit stünde.

Tief im Walde fand der Königssohn das Hüttchen der Hexe. Mit großer Überwindung trug der Prinz der Hexe sein Anliegen vor. Denn sie war nur unwesentlich weniger schrecklich als der Drache – alt, häßlich, übelriechend. Und die Hexe hörte ihn an. Dann dachte sie lange nach. Als sie meinte, die Antwort gefunden zu haben, sagte sie zu ihm: “Das ist eine wirklich schwierige Frage – aber ich sage dir die Antwort erst, wenn du meine Bedingung akzeptierst.” Da dem Königssohn nichts anderes übrig blieb, versprach er unbesehen alles. Und die Hexe verlangte, daß er sie heiratet. Sollte der Drache ihn am Leben lassen, dachte der Prinz, daß er dafür gut so ein Scheusal heiraten könne, anschließend auf ein kleines Waldschlößchen setzen und königlich versorgen, ihre Anwesenheit ertragen müßte er dann auch nicht mehr – also willigte er ein.

“Was sich jede Frau wirklich wünscht,” sagte die Hexe, “ist, selbst entscheiden zu können.” Diese Antwort leuchtete dem Prinzen ein, und da das Jahr herum war, suchte er alsbald die Drachenhöhle auf. Daß er kam, imponierte dem Drachen, und er wartete gespannt auf die Lösung seiner Rätselfrage. Da der Drache der Hexenweisheit nichts erwidern konnte, entließ er den Prinzen mit Dank: “Weise ist deine Antwort, werde so ein weiser Herrscher, wie du begonnen hast!”

Elisabeth von Nassau-Saarbrücken Cod Pal germ 152 - Die Hochzeit Florentines und Lewes

Elisabeth von Nassau-Saarbrücken
Herpin
Stuttgart (?) – Werkstatt Ludwig Henfflin, um 1470
Die Hochzeit Florentines und Lewes
Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg
Lizenz: Creative Commons-Lizenz cc-BY-NC-SA

Da die Hexe auf der Einlösung des Heiratsversprechens bestand, beraumte der König nach kurzem Familienrat die Hochzeit für seinen Sohn an. Sie sollte möglichst unspektakulär und im kleinstmöglichen Rahmen über die Bühne gehen. Und dennoch war die Zeremonie für den Prinzen und alle anderen Gäste, solange die Hexe im Raume war, eine echte Anfechtung. Sie sah nicht nur schrecklich aus und roch auch so – sie benahm sich ebenso, rülpste und furzte. Alle waren heilfroh, als sie den Bankettsaal verließ.

Doch nun kam der schwierigste Teil. Die Ehe ist nur gültig, wenn sie auch vollzogen wird. Der Prinz trank sich Mut an, und nach dem herzlichen Zuspruch von Mutter und Vater, seinem besten Freund und dem Stallmeister begab er sich zum Brautgemach. Im Ankleidezimmer ließ er sich nur aus der Oberbekleidung und den Stiefeln helfen, dann schickte er seinen Lakai fort, holte tief Luft und öffnete die Tür zum Hauptraum.

Dort erwartete ihn … eine wundervolle geschmeidige Schönheit, derentwegen der Prinz sich nie und nimmer hätte Mut antrinken müssen! Diese faszinierende Frau sagte zu ihm: “Ich bin die Hexe, die du widerwillig geheiratet hast, weil du mir dein Wort gabst. Dies ist meine andere Seite. Du kannst nun wählen – soll ich so aussehen des Tags – aber nachts das widerwärtige Scheusal sein, oder soll ich des Nachts dein Geheimnis sein, tagsüber aber die abstoßende Hexe?”

Der Jüngling grübelte.. und – gar nicht lange – da hatte er die Antwort: “Sei so, wie du sein willst, wann auch immer du willst.” Denn will nicht jede Frau selbst entscheiden können? Da erklärte mit funkelnden Augen die Schöne: “Wir werden eine sehr interessante Ehe führen!” Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute…

© Amhara von Agora und Thalassa von Kerygma

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