Gunnora von der Normandie

11. Mai 2014
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Zufälligerweise hat sich Richard I., Jarl der Normannen, bei einem Jagdausflug in die schöne Dänin Seinfreda verliebt. Die aber war mit einem seiner Waldhüter verheiratet und hielt nichts davon, unter dem Deckmantel der Ehrbarkeit zur Konkubine zu werden. Statt dessen bewog sie den Fürsten, sich um ihre unverheiratete Schwester Gunnora zu bemühen. Gunnora akzeptierte die Werbung und ging mit dem Jarl eine Ehe “more danico” ein, denn er war bereits mit Emma von Franzien, der Tochter Hugos des Alten und Schwester Hugo Capets, kirchlich verbunden.
Von Gunnoras Eltern weiß man nichts, auch nicht, mit welcher Besiedlungswelle der Normannen die Familie aus Skandinavien in das Frankenreich gekommen ist. Man wird allenfalls einen niedrigen normannischen Adel vermuten dürfen.
Während die offizielle Ehe von Richard und Emma kinderlos bleibt, bekommt der Jarl von seinen Konkubinen zahlreiche Nachkommen. Gunnora trägt mit sechs sicher verbürgten Kindern zu der großen Schar bei. Sechs Kinder im 10. Jahrhundert groß zu kriegen ist eine beachtliche Leistung.
Richard I. hat sich, anfangs notgedrungen, mit dem mächtigsten Mann des Westfränkischen Reiches gut gestellt. Hugo Magnus kann ihm gegen konkurrierende Normannenfürsten Waffenhilfe und politische Rückendeckung geben. Die Ehe mit dessen Tochter Emma soll diese Allianz festigen; außerdem hat Hugo Magnus seinen Schwiegersohn zum Beschützer seines Erbsohnes Hugo Capet ernannt. Als Emma im Jahre 968 unerwartet im Alter von etwa 25 Jahren stirbt, ist Gunnora wie selbstverständlich die Frau an Richards Seite.
Die Normannen halten zur Zeit Richards offenbar noch an vielen althergebrachten Regeln fest, die sich mit den fränkisch-christlichen nicht unbedingt vertragen. Als der Jarl 989 seinen Sohn Robert mit noch nicht dreißig Jahren zum Erzbischof von Rouen machen will, stören die Kleriker sich nicht am jugendlichen Alter ihres zukünftigen Oberhirten – sondern daran, daß der Jarl immer noch nicht kirchlich verheiratet ist! Um dem Streit ein Ende zu machen, heiraten Richard I. und Gunnora im Jahre 989 endlich auch mit kirchlichem Segen, wie der Geschichtsschreiber Wilhelm von Jumieges zu berichten weiß.

Gonnor von der Normandie bestätigt eine Charta der Abtei des Mont-Saint-Michel Archiv der Abtei 12. Jahrhundert. (Quelle: Wikipedia)

Gonnor von der Normandie bestätigt eine Charta der Abtei des Mont-Saint-Michel
Archiv der Abtei 12. Jahrhundert. (Quelle: Wikipedia)

Die Verbindung mit Gunnora ist für beide Familien vorteilhaft. Ihre Schwestern und Nichten heiraten in die wichtigsten Sippen des normannischen Adels ein, ihr Bruder Herfast wird mit der Herrschaft Crepon belehnt und gehört zu den engsten Vertrauten des Jarls.
Diese Verstärkung hat Richard bitter nötig. Obwohl er der Enkel von Rollo ist, den König Karl III. zur Besiegelung des Friedens im Jahre 911 mit der Herrschaft Rouen belehnt hatte, ist seine Position dennoch nicht unangefochten. Sein Vater Wilhelm Langschwert muß sich zu Beginn seiner Herrschaft gegen rivalisierende normannische Adlige behaupten, die ihn für zu frankenfreundlich halten. Anschließend kann er zwar den normannischen Einflußbereich in die Bretagne erweitern, gerät dadurch aber in Konflikt mit Arnulf von Flandern. Bei einem vorgeblichen Friedenstag 942 auf einer Sommeinsel wird Wilhelm von Parteigängern Arnulfs von Flandern ermordet – und Richard ist erst zehn Jahre alt. König Ludwig IV. nutzt diese Chance, um seine eigene Position zu festigen. Er greift militärisch in die normannischen Belange ein. Den unmündigen Richard installiert er zwar als Nachfolger seines Vaters, gibt ihm aber einen landesfremden Vormund. Zur Sicherheit läßt er den Knaben als Geisel nach Laon schaffen. Richard ist dort nicht sicher – ihm drohen Tod oder Verstümmelung (Blendung oder Abschneiden der Zunge), was nicht unbedingt zum Tode führt, ihn aber regierungsunfähig machen würde.
Da Ludwig normannische Landesteile abtrennt, um sie seinem Onkel Hugo Magnus zuzuschlagen, nutzen einige normannische Fürsten die unübersichtliche Lage, um Richard aus Laon zu befreien. Zudem bitten sie König Harald Blauzahn von Dänemark um Unterstützung. Den Normannen gelingt es im Jahre 945, König Ludwig IV. gefangen zu nehmen und an Hugo Magnus auszuliefern.
Folgerichtig erkennt Richard, als er mit 14 Jahren regierungsfähig wird, die Oberhoheit des fränkischen Herzogs, und nicht die des Königs an.
In den Machtkämpfen der alteingesessenen fränkischen Adelshäuser und der neu hinzugekommenen normannischen Potentaten ist es wichtig, eine Schar von Getreuen zu haben – nicht einzelne Waffenbrüder und Berater, sondern ganze Familien und Clans. Gunnora bringt ihm bislang neutrale Verbindungen zu. Zudem ist sie nicht unvermögend und beherrscht mehrere Sprachen.
Dudo von St. Quentin bezieht sich in seinem mehrbändigen Geschichtswerk “De Moribus et Actis Primorum Normannorum Ducum”, das er im Auftrag des Herzogs von 1015 – 1026 verfaßt hat, unter anderem auf direkte Mitteilungen der Fürstin. Sie ist eine seiner wichtigsten Quellen. Obwohl diese Bücher romanhaften Charakter haben, dürften die hier überlieferten Fakten nicht allzu weit von der Wirklichkeit abweichen – es gibt seinerzeit einfach noch zu viele Zeitzeugen mit eigenem Wissen. Dudo schildert sie als Regentin und Richterin, als Schlichterin und nicht zuletzt als Vermittlerin zwischen Vater und Sohn.
Mit Kindern wird Politik gemacht; Ehen befestigen Familienbündnisse und geistliche Ämter sind unabdinglich.
Daher soll Robert Erzbischof von Rouen, dem Hauptsitz der Normannen, werden. Und weil dieses Erzbistum politisch so wichtig ist, wird nach seinem Tod 1037 ein unehelicher Sohn Richards II. sein Nachfolger.
Der älteste Sohn, Richard, ist ungeachtet seiner vorehelichen Geburt (noch vor dem frühen Tod der offiziellen Ehefrau seines Vaters) fraglos dessen Nachfolger. Als sein Vater 996 überraschend stirbt, ist bereits die Heirat zwischen Hawise (Hedwig, *~ 980) mit Gottfried, Herzog von der Bretagne, verabredet. Zur Absicherung dieser wichtigen Allianz geht ihr Bruder Richard fast gleichzeitig die Ehe mit Gottfrieds Schwester Judith ein.
Der dritte Sohn, Mauger, erheiratet sich über die Ehe mit der Erbtochter des Grafen von Corbeil diese wichtige Herrschaft.
Mathilde (* ~ 980,) wird um 1004 mit Odo II., Graf von Blois, verheiratet, dessen Stiefvater König Richard II. von Frankreich war. Mathilde stirbt aber bereits 1005, ohne Kinder geboren zu haben.
Emma (*~ 985) ist in erster Ehe mit König Ethelred von England verheiratet (1002 – 1016), nach dessen Tode in zweiter Ehe mit dessen Bezwinger, König Knut dem Großen von 1017 – 1035 (der 1035 verstirbt); die familiäre Verbindung soll die Angelsachsen von Angriffen auf die Bretagne und die Normandie abhalten. Emma wird Mutter von Königen und durch ihre Tochter Gunhild von Dänemark Schwiegermutter des deutschen Königs Heinrich III.
Gunnora scheint nach Richard I. Tod 996 faktisch die Regentin des Herzogtums gewesen zu sein. Bis 1020 fertigt und unterschreibt sie herzogliche Urkunden. Bei vielen offiziellen Gelegenheiten begleitet sie ihren Sohn. Aus ihrer Morgengabe vergibt sie Landbesitz an die Abtei von Mont Saint-Michel, außerdem gründet sie die Kathedrale von Coutances, für die sie sogar den Grundstein legt. Die Fürstin, die etwa 935 geboren wurde, verstirbt in hohem Alter am 05.01.1031, ihr Grab ist nicht überliefert.
© Amhara zu Agorá

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