Seemannsgarn und Aberglaube

25. Mai 2014
Von

Im Laufe der Jahrhunderte haben sich unter den teilweise monatelang vom Festland abgeschnittenen Seeleuten zahlreiche spezielle Sitten und Gebräuche etabliert. Dies führte dazu, dass nicht nur den Landratten die abenteuerlichsten Geschichten erzählt wurden, um sie mit den Heldentaten zu beeindrucken, sondern auch Aberglaube, der aus der Furcht vor dem Unbekannten in der Tiefe und der Unberechenbarkeit der Naturkräfte – Wind und Wellen – herrührte.

Seeschlange - Olaus Magnus Historia de Gentibus Septentrionalibus Rom 1555

Seeschlange – Olaus Magnus Historia de Gentibus Septentrionalibus Rom 1555
Quelle: Wikimedia

Die Geschichten, die Ihr hier findet, stammen aus der Sammlung “Legenden und Aberglauben auf Hoher See” von Michael Kirchschläger, der den alten Seebären und Fahrensleuten gelauscht und ihren Klönschnack wiedergegeben hat. Im Laufe der Jahre haben Deutsche, Franzosen, Engländer und Dänen die Geschichten bei einem steifen Grog, einem Ale, Aquavit oder feurigen Wein erzählt und sie ausgeschmückt. Nichts ist schöner, als den Mädchen im Hafen eine Gänsehaut über den Rücken zu jagen und selbst als siegreich Held dazustehen.

Imaginäre Monster - Olaus Magnus Historia de Gentibus Septentrionalibus Rom 1555

Imaginäre Monster – Olaus Magnus Historia de Gentibus Septentrionalibus Rom 1555
Quelle: Wikimedia

In geselliger Runde erzählte man dann folgende Döntjes: An der Küste von Yorkshire gibt es eine Strömung, die äußerst bedenklich ist. Wenn die See still ist, hört man ein fürchterliches Brüllen, so daß die Fischer sich nicht hinaus wagen in dem Glauben, es sei dort ein Ungeheuer in der See, das vor Hunger rast und sich mit Leichen sättigen will. Bei Sturm jedoch lauert hier irgendwo ein anderes Seeungeheuer auf seinen Raub, vielstimmig bellend und heulend aus sechs Mäulern.
Einen schlimmen Ruf hatte die Meerenge von Gibraltar, der Sage nach “die Säulen des Herkules”, bis die Kühnheit der Portugiesen, hauptsächlich unter Heinrich dem Seefahrer (1394–1460), den Bann brach. Sie bewiesen, dass hier nicht das Ende der Welt liegt und auch nicht der Eingang ins Totenreich. Nach und nach wagten sich unverzagte, unternehmende, gewinnlustige Seefahrer über das Mittelmeer hinaus, durch jene Säulen hindurch in dieses Mare Tenebrosum – das Meer der Dunkelheit.
Selbstverständlich spielt auch bei Ebbe und Flut das geheimnisvolle Seeungeheuer eine Rolle, das auf dem Grund der See oder in tiefer Höhle liegt und durch Einsaugen des Wassers die Ebbe, durch Ausstoßen des von Nahrungsstoffen filtrierten Wassers die Flut verursacht. Merkwürdig ist die Behauptung Aristoteles’: “Kein Tier stirbt zu anderer Zeit als zur Ebbezeit, und auch für Menschen ist das gültig.” Dieser Aberglaube hatte noch im 19. Jahrhundert an englischen Küsten seine Gültigkeit, wie in Charles Dickens “David Copperfield”, wo der alte Barkis nicht sterben kann, solange Hochwasser ist.
Doch müssen wir heute eingestehen, dass so manche Geschichte über eine Monsterwelle, die Schiffe mit Mann und Maus untergehen ließ, sich spätestens seit 2004 bewahrheitet hat. Auch so manches Tiefseemonster wurde gesichtet, wie Riesenkalmare mit einer Länge von 18 m. Wie bedrohlich mußte die Begegnung mit einem Blauwal oder Riesenhai mit ihren aufgerissenen Mäulern – harmlose Plaktonfresser, die ja auch heute noch im Atlantik (selbst vor Helgoland) auftauchen können, für die Seeleute mit ihren kleinen zerbrechlichen Holzschiffen gewirkt haben. Hinzu kommt, dass das menschliche Auge auf dem offenen Meer keine Vergleichsgröße für vorbei schwimmende Objekte hat, weshalb vieles größer, ferner oder schneller erscheint.

© Thalassa

Tags: ,

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *