Wilde Vogelkirsche

18. August 2013
Von

Heil- und Nutzpflanzen

Kirsche (aus "Flora von Deutschland, Österreich und der Schweiz", O.W.Thomé, 1885; Quelle: BioLob.de)

Kirsche (aus “Flora von Deutschland, Österreich und der Schweiz”, O.W.Thomé, 1885; Quelle: BioLob.de)

Unsere Kirschen gehen, obwohl sie zwei getrennte Arten darstellen, beide auf die Wilde Vogelkirsche zurück. Sie zählt zu den Rosengewächsen und trägt die typischen elliptischen Blätter und fünfzähligen Blüten. Ihre Steinfrüchte werden so gerne von Vögeln gefressen, daß dieses Obst nach ihnen genannt wurde.
Das natürliche Verbreitungsgebiet liegt im gemäßigten Europa, Mittelmeerraum und Vorderasien bis in den Nord-Iran; andernorts wurde sie eingebürgert. Die nördliche Verbreitungsgrenze läßt sich wegen der Ähnlichkeit mit den Kulturformen nicht mehr sicher bestimmen; außerdem wurde sie schon in der Steinzeit genutzt und hat sich dadurch vermutlich auch mit dem Menschen verbreitet.
Die Wilde Vogelkirsche ist ein bedingt frostharter sommergrüner Baum, der (selten) bis 30 m hoch werden kann. Als wärmeliebende Halbschattenpflanze steht sie besonders gern in krautreichen Mischwäldern, an Waldrändern und in Hecken auf frischen, tiefgründigen und nährstoffreichen Böden. In den Alpen geht sie bis 1700 m hoch, im Kaukasus bis 2000 m. Ihre Krone wird mit zunehmendem Alter breit kegelförmig. Die Zweige sind dick und tragen reichlich Kurztriebe, an denen die Blüten erscheinen. Kennzeichnend ist die “Ringelborke”.
Die gestielten Blätter sind elliptisch mit gesägtem Rand, mehr oder weniger zugespitzt, und sprießen gleichzeitig mit der Blüte etwa im April oder Mai (je nach Witterung). Drüsen an den Blattstielen  sondern reichlich Nektar ab und bieten damit “Polizistenfutter” an: mit diesem Lockstoff werden Ameisen geködert, die nicht nur den süßen Nektar aufnehmen, sondern bei dieser Gelegenheit auch noch an dem Baum schmarotzende Raupen erjagen.
Die doldigen Blütenstände an den Kurztrieben bestehen aus meist drei bis vier Blüten, manchmal auch aus sechs; sie sind weiß und empfindlich gegen Spätfrost. Eine ältere, frei stehende Wilde Vogelkirsche kann gleichzeitig eine Million Blüten tragen! Die Blüten duften nach Honig und bieten den Nektar für Insekten leicht zugänglich an. Bienen sammeln auch Pollen.
Die Steinfrüchte der Kulturformen sind bis 25 mm im Durchmesser groß, die der Wildform lediglich 10 Millimeter. Diese sind leicht bittersüß und wenig saftig, reifen im Juni oder Juli und werden schwarzrot. Die Wilde Vogelkirsche nutzt viele Wege der Samenverbreitung: Säuger, die die Kirschen (fr)essen, scheiden die Kerne andernorts aus, Vögel schleppen sie nicht so weit fort, lassen die Kerne aber immerhin am Verzehrplatz fallen, Eichhörnchen und Mäuse legen Vorräte an, die sie nicht immer wiederfinden – und zuguterletzt gibt es auch noch die Methode der Vermehrung durch Wurzelausläufer!
Die ersten Zuchtkirschen brachte der Legende nach der römische Feldherr und Feinschmecker Lucullus aus Asien als Kriegsbeute mit. Dort im kurdisch-iranischen Grenzgebiet müssen sie gezogen worden sein, denn die Bezeichnung der Frucht als “keras” stammt aus dieser Sprache. Die Römer verbreiteten dann die Süßkirschen in ihrem Imperium. Im “Capitulare de Villis” Karls des Großen wird angeordnet, daß in den kaiserlichen Gütern unter anderen Obstbäumen auch Kirschen angebaut werden sollten.
Die aus der Wilden Vogelkirsche herausgezüchteten Herzkirschen und Knupperkirschen (beides Süßkirschen) haben zwar erheblich größere Blätter und Früchte als die Wildform, unterscheiden sich aber sonst nicht grundlegend von ihr. Sie eignen sich besonders zum Rohverzehr.
Die Sauerkirschen sind vermutlich aus einer Verbindung von Wilder Vogelkirsche und Zwergkirsche hervorgegangen – ob zufällig oder absichtlich, läßt sich heute nicht mehr feststellen. Sie tauchen erst im 16. Jahrhundert von Osten her in Deutschland auf, sind also die jüngere Art. Sauerkirschen eignen sich gut zum einkochen und backen.
Es gibt mehr als 1000 Sorten Süß- und Sauerkirschen, aber 80% von ihnen sind gefährdet – hauptsächlich aus optischen Gründen. Bevorzugt werden Mon-Cherie-Imitate angeboten, dabei schmecken hellrote, marmorierte oder gar gelbe Kirschsorten genau so gut!
Nach Äpfeln, Birnen und Pflaumen/ Zwetschen sind die Kulturkirschen die viertwichtigste Obstart in Deutschland. Die Früchte reifen nicht nach und müssen bald nach der Ernte verzehrt bzw. verbraucht werden, da sie sonst verderben. Sie enthalten mehr Carotinoide, Vitamin A, B2, B5 und C als Äpfel, reichlich Spurenelemente, besonders Zink, und wirken durch ihren Kaliumreichtum entwässernd. Die Anthocyane der Kirschen wirken günstig auf die Darmflora und andere Bestandteile hilfreich in der Muskulatur. Kirschen helfen bei Gicht, Rheuma, Arthritis, Parodontose und Diabetes, sollten dafür aber roh genossen werden, da die hilfreichen Inhaltsstoffe beim Kochen oder Backen zerstört werden.
Kirschbaumholz ist biegsam und für Furnier, Möbel- und Instrumentenbau sowie zum Drechseln sehr gut geeignet.
Kirschzweige, die am Barbara-Tag (4. Dezember) geschnitten und in die Vase gestellt werden, blühen zu Weihnachten.

© Amhara zu Agorá

Tags: ,

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *