Capitulare de villis vel curtis imperii

4. November 2012
Von

Bei dieser Überschrift werden die meisten Leser denken: Oh Schreck, jetzt sind wir an ein Fabelwesen oder in eine Lateinstunde geraten. Für manche mag es auf das Gleiche hinauskommen, wenn sie an ihren Lateinlehrer denken.

Königliche Verordnung über die Landgüter und/oder Höfe des Reiches

Wir müssen uns daran gewöhnen: die “Weltsprache” des Mittelalters war nicht Englisch, sondern Latein. Wir profitieren noch heute davon. Alle naturwissenschaftlichen Fachausdrücke, ob in der Medizin oder Biologie, sind lateinische Wörter. Spätestens, wenn ihr den Beipackzettel von Eurem letzten Medikament, das ihr in der Apotheke geholt habt, lesen wollt, werdet ihr merken: mit Englisch kommt ihr nicht weit.

Nein, wir bleiben bei Karl dem Großen. Wie ich bei meinem letzten Artikel geschrieben habe, hat er eine gewaltige Umwälzung in der Wirtschaft – speziell in der Agrarwirtschaft – ausgelöst. Niedergelegt wurde alles in der oben genannten Schrift.

 ”Capitulare de villis vel curtis imperii” ist eine Landgüterverordnung, die Karl der Große als detaillierte Vorschrift über die Verwaltung der Krongüter erließ.

Capitulare de villis vel curtis imperii

Kapitel LXX von Capitulare de villis vel curtis imperii
(Quelle: Wikipedia)

Verfasst wurde die Domänenverordnung im Auftrag des Kaisers von Abt Ansegis von St. Wandrille aus dem Orden der Benediktiner, wahrscheinlich im Jahre 812 n. Chr. in Aachen. Dabei griff er auch auf noch vorhandenes Wissen über die römische Landwirtschaft zurück. Die auf den Historiker Karl Gareis zurückgehende Datierung ist allerdings strittig. Einige Historiker schreiben den Text auch Karls Sohn Ludwig dem Frommen zu. Teilweise wird auch vermutet, der Verfasser sei Alkuin.

Detailgenau werden 73 Nutzpflanzen (Heilkräuter eingeschlossen) und 16 verschiedene Obstbäume beschrieben, die in allen kaiserlichen Gütern von den Verwaltern anzupflanzen waren. Auch wird hier auf Schriftlichkeit der Verwaltung und regelmäßige Rechenschaftslegung gedrungen.

Der Erlass über die Krongüter sollte offenbar die Versorgung Karls des Großen und seines großen Hofes sichern. Im Vorfeld hatte es mehrere Nahrungsengpässe gegeben, die durch eine straffe Organisation der Güter vermieden werden sollten. Das Hauptaugenmerk lag dabei auf der genauen Anweisung der Verwaltungsbeamten. Die Ertragssteigerung und Sicherung sollte vor allem durch eine Verbesserung der Organisation und der Einführung einer genauen und regelmäßigen Buchhaltung erreicht werden.

Dreifelderwirtschaft bedeutete, ein Drittel des Ackerlandes ein Jahr brach liegen zu lassen. Die Felder wurden in einem jährlichen Wechsel unterschiedlich bebaut:

Ein Acker wurde mit dem vor dem Winter gesäten Wintergetreide (damals Roggen und Emmer) und ein zweiter mit dem nach dem Winter gesäten Sommergetreide (Hafer, Hirse, Gerste) bestellt. Das dritte Feld blieb in diesem Jahr eine Brache, so dass sich der Boden hier erholen konnte. Es diente jedoch als Viehweide.

In der Regel wurde dann im Herbst gepflügt und ein Wintergetreide ausgesät. Das überdauert den Winter und wird im folgenden Spätsommer geerntet. Anschließend wurde nach nochmaligem Pflügen und regelmäßiger Bodenbearbeitung zur Unkrautbekämpfung bis zum Frühjahr ein Sommergetreide ausgesät, das wiederum im Spätsommer geerntet wird. Bis zum nächsten Herbst wurde die Fläche sich selbst überlassen und begrünte sich von alleine oder es wurde Klee ausgesät. Es gab jedoch auch die „Schwarzbrache“, also ohne Aussaat. Das hieß Pflügen und Eggen, um die Fläche auf lange Sicht weitgehend unkrautfrei zu bekommen, was wiederum die Getreideerträge positiv beeinflusst. Jedoch können über den Winter einige Nährstoffe ausgewaschen werden (v. a. Stickstoff).

Die Dreifelderwirtschaft und ein schwerer Eisenpflug, der durch Pferde statt durch Ochsen gezogen wurde, verbesserten die Erträge. Durch diese mittelalterlichen Neuerungen wurde in Europa die Grundlage für ein starkes Bevölkerungswachstum geschaffen, das erst durch die Pestwelle in der Mitte des 14. Jahrhunderts beendet wurde.

In den Capitularien wurde genau festgelegt, was bei der Ankunft des Kaisers und seines Trosses zur Verfügung stehen sollte. Vom Hofgut bei der rheinland-pfälzischen Stadt Andernach weiß man aus historischen Quellen, dass dem Kaiser bei seiner Ankunft fünf Fässer Wein, 50 Kühe, Pfeffer und Zucker geliefert wurden.

Große Aufmerksamkeit hat das “Capitulare de villis” erlangt, weil darin im Detail auch der Anbau von Obstbäumen, Weinreben und Gemüse beschrieben ist. Im letzten Kapitel sind 89 Pflanzen und Heilkräuter aufgelistet, die die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung innerhalb des Frankenreichs verbessern sollten. Nach dem Untergang des Römischen Reiches im fünften Jahrhundert war ein Großteil der medizinischen Versorgung zusammengebrochen.

Neben der Dreifelderwirtschaft wird auch der Weinbau, die Herstellung von Malz, der Anbau von Flachs, Hanf, Hirse und Frühkohl beschrieben. Weitere Kapitel befassen sich mit der Zucht von Pferden, Rindern, Schafen, Schweinen, Ziegen, Bienen oder Fischen. Die Vorschriften gehen ins Detail. So wird zum Beispiel vorgeschrieben, wie lange die Stuten zu den Hengsten geführt werden, dass Wein in Fässern und nicht in Schläuchen aufzubewahren ist, und dass die Trauben wegen der Reinlichkeit nicht mit den Füßen zu entsaften sind. Das steht im Gegensatz zur mediterranen Praxis, wie sie noch in der Neuzeit geübt worden ist.

Den Pflanzenbestand der Klostergärten wählte der Verfasser des “Capitulare de villis vel curtis imperii” als Vorbild für die Krongüter aus, außerdem einige Wildpflanzen, wie Haselnuss oder Wermut. Im 70. Kapitel ist zu lesen:…”Wir wollen, daß sie im Garten alle Pflanzen haben, nämlich weiße Lilien, Rosen, Bockshornklee, Frauenminze, Salbei, Raute, Eberraute, Gurken, Melonen, Flaschenkürbisse, Saubohnen, Kreuzkümmel, Rosmarin, Kümmel, (…) und der Gärtner soll auf seinem Hause haben: Hauswurz.” Auch die bereits in der Antike als Gewitterschutz verehrte Dach-Hauswurz kam also vor. Diesen magischen „Donnerbart” sollte der „Gärtner auf sein Dach pflanzen”.

Als Baumarten wurden Apfelbäume aufgezählt mit den Apfelsorten Geroldinger oder Gosmaringer, weiterhin Mandel, Pfirsich, Pomeranze (bittere Orange), Esskastanie, Quitte, Walnuß, Maulbeere, Pinie u.a. Den Meisten von uns unbekannt ist wohl der Baum Speierling.

Der Freundeskreis Botanischer Garten Aachen e.V. unterhält den Karlsgarten, in dem man all diese Pflanzen in der Natur betrachten kann. Der Karlsgarten liegt im Westen von Aachen in der Nähe von Gut Melaten. Er wurde erst im Jahre 2000 eingeweiht, ist also nicht historisch. Man weiß auch nicht, ob im Mittelalter tatsächlich ein Garten in dieser oder ähnlicher Ausführung existiert hat.

An Gewürzen und Gemüsen werden viele Dinge genannt, die z.T in Vergessenheit geraten sind, wie die Hunds-Rose, der Pferde-Eppich oder die Kuhbohne oder erst in jüngster Zeit wiederentdeckt wurden und jetzt in Öko-Läden angeboten werden wie die Pastinake. Das ist eine der Kartoffel im Geschmack ähnliche Frucht, die nicht mit ihr verwandt ist.

Zum Schluß bin ich Euch, die ich nur “Küchenlatein” gelernt habe, die Übersetzung schuldig: Anordnungen für die kaiserlichen Hofgüter. Das ist meine Übersetzung pi mal Daumen. Ich habe den Titel dieses Werkes nirgends auf Deutsch gesehen.

© Thalassa von Kerygma

Tags: ,

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *