Ein Tag am Freigericht

17. Juni 2012
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Es ward wieder Zeit, den Gerichtstag abzuhalten. Der Knecht hatte bereits die Stühle unter der stattlichen Buche aufgestellt. In Kürze würden die Herren Schöffen eintreffen. Auch war für das leibliche Wohl der hohen Herren gesorgt. Die Mägde waren bereits seit Tagen emsig in der Küche zugange. Ich nahm nun nochmals die Akten zur Hand. Es war einiges zusammengekommen innerhalb der letzten achtzehn Wochen. Betrug, Raub, ein Mord gar. Aber es gab auch viele harmlose Dinge zu erledigen. Eigentumseintragungen und Streitigkeiten über ebensolche. Es würde sich sicherlich jede Menge Volk einfinden, um dem Schauspiel beizuwohnen. Nun denn, es wurde Zeit. Ich machte mich auf den Weg, um diese Aufgabe hinter mich zu bringen.

Mit großen Schritten ging ich würdevoll, in meine Amtstracht gehüllt, nach draußen. Mein Diener war mit den Akten immer an meine Fersen geheftet. Alle Augen waren nun auf mich gerichtet, aber dies war ich ja gewöhnt, in meinem Amt als Stadtoberhaupt von Wilmundsheim vor der Hart. „Sind alle Beteiligten anwesend?“ ging meine Frage an den Gerichtsdiener. „Ja, Euer Ehren, alle vollzählig.“ „Somit erkläre ich den ersten Gerichtstag dieses Jahres für eröffnet.“

Als erstes wurden nun diejenigen aufgerufen, um die Eintragung ihrer neu erworbenen Grundstücke und Gebäude vornehmen zu lassen. Dann traten die Streitparteien wegen eines Grundstücks vor. „Euer Ehren, bei der Verhandlung zum Kauf wurde mir eine Größe von 2.000 m² zugesichert. Als ich nun das Grundstück von meinen Baumeistern abschreiten ließ, stellte sich heraus, dass es nur 1.500 m² waren. Ich verlange, dass mir ein Drittel des Kaufpreises zurückgezahlt werde!“ Die nächsten traten hervor. „Jener Schreiner hat, als ich seine Werkstatt verlassen wollte, sein Werkzeug nach mir geworfen. Ich konnte vier Wochen nicht auf meinem Afterballen sitzen.“ So ging es immer weiter.

Zum Schluss führte man einen jungen Mann vor. Mit lauter Stimme verlas ich die Anklage. „Dem Schmied Frowin wird vorgeworfen, im Dezember letzten Jahres die Jungfrau Elisabeth geschändet und ermordet zu haben. Das ganze soll in den elterlichen Ställen der Jungfrau geschehen sein. Was hat Er zu seiner Verteidigung vorzubringen?“ Frowin, ein schmächtiger und unscheinbarer Mann, hielt den Blick fest auf den Boden geheftet. „Sprecht! Es ist Seine letzte Gelegenheit.“ Zornig fuhr nun Frowin hoch, wie verwandelt, Wut und Hass waren in seinem Gesicht zu sehen. „Euer Ehren! Es war nicht meine Schuld. Das Weib war eine Hexe. Sie hat mich dazu gebracht.“ Schon war der Ausbruch wieder vorbei und der Delinquent schwieg.

Wilmundsheim vor der Hart

Burg Alzenau (ehemals Wilmundsheim vor der Hart)

Aber was war geschehen? In der Nacht zu Sankt Nikolaus kam ein Bote in mein Haus geeilt und überbrachte die Nachricht, dass etwas Schändliches geschehen sei. Ich machte mich sogleich zum Ort des Geschehens auf. Als ich dort eintraf, berichtete mir die Wache, was passiert wäre. „Eine Gestalt ist schon einige Tage ums Haus geschlichen. Der Knecht hat ihn beobachtet. Und als gestern Abend die Herrschaften einer Einladung folgten, hat er zugeschlagen. Die Jungfer war nicht wohl auf und hütete das Bett. Zu später Stunde muss sie gleichwohl ihre Kammer verlassen haben und auf den Hof getreten sein. Dort muss sie der Kerl erwischt und in den Stall gezerrt haben.“ Ich fragte dazwischen: „Hat sie sich denn nicht gewehrt?“ „Oh doch, Euer Ehren. Sie muss dem Kerl mit den bloßen Händen tiefe Wunden zugefügt haben. Sie hat blutüberströmte Finger. Unter den Nägeln fand sich eine große Menge seiner Haut. Aber es hat ihr nichts genutzt. Er hat sie geschändet und dann mit einem Dolch direkt in ihr Herz gestochen. Auch der Knecht, der gerade seinen Rundgang begann und die Geräusche gehört hatte, kam zu spät. Er sah nur noch den Schatten aus dem Stall und über eine Mauer huschen.“ Nach einigen Tagen war es dann gelungen, Frowin aufzugreifen. Er war vor lauter Schmerzen zu einer Heilerin gegangen, die seine Wunden an Hals und Brust lindern sollte.

Dies alles berichteten die Wache und der Knecht nun auch vor dem Gericht. Frowin stand hier unter der Buche vor mir und den Schöffen und wagte es zu behaupten, dass die ehrbare Jungfrau eine Hexe sei. Da sich sonst niemand zu seiner Verteidigung fand, war wohl alles klar. „Hiermit wird der Schmied Frowin für schuldig befunden und zum Tode durch den Strang verurteilt.“ Sogleich trat der Henker vor und ergriff den Delinquenten. Die Schlinge war schnell vorbereitet. Die Gaffer und Schaulustigen jubelten, als er schließlich an der Buche baumelte.

Mit einem Schauer schloss ich die Akten mit den Worten „Hiermit ist der erste Gerichtstag dieses Jahres beendet“ und verließ den Schauplatz. Noch im Gehen murmelte ich leise: „Hoffentlich gibt es bei mir zu Hause etwas Erfreulicheres.“

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