Der lange Weg der Chirurgie -Narkose-

30. November 2014
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Der lange Weg der Chirurgie

Kannst du dir vorstellen, jemand entfernt dir einen Blasenstein ohne Narkose? Der Zahnarzt greift nicht erst zur Spitze, sondern gleich zur Zange? Oder, noch besser, jemand sägt dir das Bein ab, bei vollem Bewusstsein? Nicht schön, meinst du? Stimmt! Aber über Jahrhunderte waren dies gängige Gegebenheiten im Zusammenhang mit medizinischen Eingriffen aller Art!

Eine routinemäßige Schmerzfreiheit war generell unerreichbar. Wer es sich leisten konnte, griff auf mehr oder weniger zweifelhafte Methoden zurück, wie wir unten lesen werden.  Es gab mehr oder weniger erfolgreiche Versuche mit pflanzlichen Betäubungsmitteln, allerlei Wundermittel und ab und an auch richtige Ansätze. Aber bis zur ersten „richtigen“ Allgemeinnarkose war es ein weiter Weg!

Das frühe Christentum ging sogar noch weiter: Im 4. Jahrhundert verbot man den Einsatz von Schmerzstillern jeder Art. Da jede Krankheit, und damit auch die Schmerzen, von Gott gewollt war, hatte man sie gefälligst auch zu ertragen. Selbst Karl der Große bekräftigte diese These noch (wahrscheinlich hat er selber nie einen Chirurgen gebraucht…).

Aber was konnte man tun, um den Schmerz zu bekämpfen?
Im Regelfall wird es wohl so gewesen sein, dass der Patient den Schmerz wohl oder übel ertragen musste. Während einer Operation wurde der Patient entweder gefesselt und entsprechend fixiert, oder mehrere kräftige Helfer hinderten ihn am Zappeln (oder der Flucht…).

Zugute kam den bedauernswerten Opfern am ehesten der eigene Körper: wird der Schmerz zu groß, schaltet der Körper ab, der Mensch fällt in eine Bewusstlosigkeit. Allerdings kann diese auch so weit gehen, dass es zum Schockzustand kommt und der Mensch verstirbt.
Auch Kälte hat sich als sehr wirkungsvoller Schutz gegen Schmerzen erwiesen. Besonders auf Schlachtfeldern in der Gegend von Russland bzw. im Winter machten die Feldscherer die Erfahrung, dass unterkühlte Gliedmaßen wesentlich schmerzunempfindlicher waren als solche mit normaler Körpertemperatur, was die oft notwendigen Amputationen erheblich vereinfachte.

Werte sich ein Patient allzu sehr, konnte kein Chirurg arbeiten. Dann kam auch durchaus die sprichwörtliche „Holzhammernarkose“ zum Einsatz: der Patientenkopf wurde mit einem Schutz versehen (Polsterhaube, ein Helm o. ä.), dann schlug man ihm mehr oder weniger fest auf den Hinterkopf, wodurch eine leichte Gehirnerschütterung und damit eine Bewusstlosigkeit eintrat. Die daraus resultierenden Kopfschmerzen wird man billigend in Kauf genommen haben…

Alraune - Codex Medicina Antiqua - fol 118 recto - Darstellung der mythischen Ernte einer Alraunwurzel

Seite aus dem Kodex Medicina Antiqua (fol. 118 recto). Das Bild zeigt die mythische Ernte einer Alraunwurzel. Der Text darüber erläutert die medizine Anwendung der Pflanze Mandragora (gegen Ausschlag und Gelenkschmerzen) um 1250. Fand auch bei der Herstellung von Schlafschwämmen Verwendung.
Quelle: wikimedia

Etwas subtiler waren die Techniken der arabischen Ärzte. Sie drückten den Patienten die Halsschlagader ab, was zu einer sofortigen Bewusstlosigkeit führt. Außerdem kam das Opium zum Einsatz, welches teilweise von den Kreuzfahrern nach Europa importiert wurde. Aber leider haben beide Methoden höchstens vereinzelt Einzug in die westliche Medizin gehalten.

Belege zum Gebrauch von Opium (das auch als Aphrodisiakum Verwendung fand)  finden sich schon sehr früh. Bereits ab 6000 vor Christus betrieb man den Anbau dieser Droge, die allerdings keineswegs flächendeckend zum Einsatz kam.

Eine Hochburg der Medizin des Mittelalters war das Kloster von Monte Cassino. In einem Codex aus dem 9. Jahrhundert fand sich ein Rezept für einen „Schlafschwamm“:  Ein Schwamm wurde in einen Sud getaucht, der Opium, Bilsenkraut, Maulbeersaft, Schierling, Mandragora und Efeu enthielt (hier gibt es diverse Rezepte, auch aus anderen Quellen) und anschließend getrocknet.  Wenn der Schwamm dann wieder befeuchtet wurde, entstanden Dämpfe, die von den Patienten eingeatmet wurden. Im Idealfall bekam man eine „richtige“ Narkose. Aber leider war es recht schwer, eine korrekte Dosierung zu erreichen, wodurch das Wirkungsspektrum sehr weit gefächert wurde: von völliger Wirkungslosigkeit bis zum Schlaf in alle Ewigkeiten war alles möglich…

Eine große verpasste Chance in Richtung einer Vollnarkose gab es im 13. Jahrhundert: Raimundus Lullus aus Spanien entdeckte einen flüssigen, schnell verdampfenden Stoff, den er „Vitriol“ nannte. Er hatte den Äther entdeckt! Allerdings wusste er selbst und auch sonst niemand so recht, was man damit anfangen sollte, und der Stoff geriet schnell wieder in Vergessenheit.

Raimundus Lullus - Ausschnitt aus Cod St Peter perg 92 Blatt 11v

Raimundus Lullus – Ausschnitt aus Cod St Peter perg 92 Blatt 11v
Quelle: Wikipedia

Ein berühmter Chirurg seiner Zeit, Guy de Chauliac, beschrieb um 1363 den Gebrauch narkotisierender Mittel, insbesondere des Opiums und des Schlafschwammes.  Auch waren ihm gut die bei der Anwendung zutage tretenden unbeabsichtigten Nebenwirkungen bekannt: Asphyxie (Herz- Kreislauf-Versagen), Blutandrang bzw.  Blutstauung und der Tod.

Guy de Chauliac - Auschnitt aus einer mittelalterlichen Illustration

Guy de Chauliac – Auschnitt aus einer mittelalterlichen Illustration
Quelle: Wikipedia

Im 16. Jahrhundert zieht Paracelus das oben erwähnte „Vitriol“ (=Äther) zur Schmerzstillung in Erwägung, es erfolgt jedoch kein Durchbruch. Paracelsus ist auch Entdecker des Laudanum (bestehend aus 90% Wein, 10% Opium, evtl. auch Bilsenkraut). Er hielt es für ein Allheilmittel, auch für Unruhe bei Kindern.

1772 entdeckt Joseph Priestley aus Leeds das Lachgas. Leider ohne große Resonanz in der Praxis.

Diverse weitere Versuche in Sachen Narkose blieben weitgehend unbeachtet. Ein bedeutender Chirurg aus Paris (A. L. M. Velpeau, 1795 – 1867) schreibt dazu: „Den Schmerz bei Inzisionen zu vermeiden, ist eine Chimäre, der niemand mehr nachjagt. Chirurgie und Schmerz sind Begriffe, mit deren Zusammengehörigkeit man sich für alle Zeit abfinden muss.“ Er sollte Unrecht behalten, denn der Umbruch stand bevor!

Am 30.09.1846 setzte W.T.G. Morton, ein Zahnarzt, die erste erfolgreiche Äthernarkose. Der Chirurg Warren entfernte daraufhin eine Kiefergeschwulst, ohne dass der Patient Schmerzreaktionen zeigte. Warren wandte sich daraufhin beeindruckt zu seinen Studenten im Hörsaal: „Meine Herren, das ist kein Humbug!“

Diese erste wirkliche Narkose bedeutete den Durchbruch! Und glücklicherweise ist für uns alle der Dämon des Schmerzes bei chirurgischen Eingriffen ein für alle Mal besiegt!

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