Petrus Venerabilis – Friedensstifter im Zeitalter der Kreuzzüge?

27. Januar 2013
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1095 rief Papst Urban II. zum “Heiligen Krieg” gegen die Ungläubigen, die das Heilige Land für die frommen Pilger unpassierbar machten. Urbans stark dramatisierende Rede von den Leiden der Christenheit im Osten, der Misshandlung durch die Andersgläubigen und der Notwendigkeit der Befreiung der heiligen Stadt Jerusalem wurde den Chronisten zufolge, die abweichende Fassungen vom Wortlaut der Rede überlieferten, begeistert aufgenommen. Angeblich wurde hier bereits das spätere Motto der Kreuzzüge – “Gott will es!” – geprägt. Merkwürdig, wie sich heute die Worte wiederholen, nur hört man sie jetzt von extremen islamischen Geistlichen.

Petrus Venerabilis

Petrus Venerabilis
(Quelle: Wikipedia)

Dieser Papst war einst Mönch im Benediktinerkloster Cluny in Burgund im heutigen Frankreich. Ausgerechnet von dort kommt eine Generation später eine massive Gegenstimme gegen die Kreuzzüge in Gestalt von Petrus Venerabilis. Cluny war eine eigene Welt. Diesem klösterlichen Reich gehörten ungefähr 10.000 Mönche in mehr als 600 Klöstern an. Clunys Mönche wurden zu Päpsten und Kardinälen gewählt oder standen als Berater im Dienst von Kaisern und Königen. An der Schwelle zum 12. Jahrhundert war Cluny ein Ort von bedeutender Wichtigkeit im westlichen Europa. Petrus war Großabt in Cluny, d. h. er hatte mehr Befugnisse als ein gewöhnlicher Abt, und er war keinem Bischof, sondern einzig und allein dem Papst direkt unterstellt – eine Folge des früheren Einflusses Papst Urbans II., der seiner Ursprungsabtei Privilegien übertrug, die Petrus Venerabilis und seinem Wirken enormen Freiraum brachten. Sein Amt verlieh ihm Immunität gegen äußere Angriffe. So konnte sich Petrus auch Dingen widmen, die von der überwiegenden Mehrheit der europäischen Gelehrten mit Desinteresse oder sogar Argwohn betrachtet wurden. Er war unabhängig von jeder weltlichen Macht. Er war allein dem Papst verantwortlich, keinem Bischof, König oder Kaiser. Daher nahm er es sich heraus, den Papst in brüderlicher Weise in Form von Briefen zu kritisieren.

Sein Geburtsname lautet Pierre Maurice de Montboissier. Auf Latein nannte man den Geistlichen Petrus Venerabilis. Auf Deutsch bedeutet sein Name “Peter der Ehrwürdige”. Er wurde um 1094 in Montboissier geboren und starb am 25. Dezember 1156 in Cluny.

Er unterstützte Papst Innozenz II., bevor er 1130 zum Papst ernannt wurde, und gewährte dem der Häresie angeklagten Philosophen und Dichter Petrus Abaelardus Zuflucht. Abaelard vertrat viele Jahrhunderte vor der Aufklärung den Primat der Vernunft nicht nur in der Philosophie, sondern auch in Glaubensfragen. Durch diese und andere kontroverse Lehren, aber auch wegen der Liebesaffäre mit seiner Schülerin Heloise, geriet er in zahlreiche Konflikte. Neben dem umfangreichen Briefwechsel sind seine theologischen Dispute unter anderem mit Bernhard von Clairvaux bis heute interessant. Venerabilis erreichte eine Aussöhnung zwischen Abaelard und Bernhard von Clairvaux.Trotzdem konnte er es nicht verhindert, dass Abaelard von Häschern des Onkels Fulbert seiner Geliebten Heloise geblendet und entmannt (kastriert) wurde. Doch sorgte er dafür, dass der unglückliche Abaelard nach seinem Tode neben seiner Heloise in geweihtem Boden bestattet wurde. Nach mehrmaligen Umbettungen während der französischen Revolution wurden die sterblichen Überreste des Paares nach Paris verbracht, wo sie seit 1817 auf dem Friedhof Père Lachaise ruhen.

Petrus Venerabilis veranlaßte die Übersetzung des Korans ins Lateinische. Das geschah in Toledo durch die Übersetzer Robert von Ketton, den getauften jüdischen Gelehrte Petrus Alfonsi und den Mönch Hermann von Carinthia. Auch ein Maure namens Mohammed soll daran beteiligt gewesen sein. Die Arbeit wurde 1143 abgeschlossen und später von Pierre von Poitiers stilistisch überarbeitet. Petrus sah in der Übersetzung des Korans einen Baustein seines “Projekts zur Widerlegung des Islam”. Es war ihm ein dringendes Anliegen, der Ausbreitung des Islam Einhalt zu gebieten. Diese Übersetzung galt 500 Jahre lang bis zum Zeitalter der Aufklärung als Standardwerk.

Aufgrund eines Aufenthaltes in Spanien durch eine Einladung von König Alfons VII. begegnete er persönlich Muslimen. Im Gegensatz zu den Mächtigen seiner Zeit lehnte er den Zweiten Kreuzzug und das brutale Vorgehen der Ritter gegenüber Andersgläubigen ab. So schrieb er im “Liber contra sectam sive haeresim Saracenorum” den Muslims: “Ich greife euch nicht, wie die Unsrigen es so oft tun, mit Gewalt an, sondern mit Vernunft, nicht mit Hass, sondern mit Liebe.” In einem Grußwort bezeichnet er die Araber “als Söhne Ismaels, die ihr das Gesetz eines gewissen Mohammad befolgt” und drückt damit seine Hochachtung ihnen gegenüber aus.

Gegenüber dem französischen König Louis VII. sprach er sich gegen den Zweiten Kreuzzug aus, indem er ein Bibelzitat aus Matthäus 26, 52 nannte: “Stecke Dein Schwert ein. Denn wer das Schwert zieht, wird durch das Schwert umkommen.” In einem Brief an den König schrieb er dazu: “Gott will weder kaltblütigen Mord noch ein Abschlachten.” Er war jedoch gegen die Kopfsteuer, die gegenüber Christen von muslimischen Herrschern in ihrem Bereich erhoben wurde, und für den freien Zugang der Pilger nach Jerusalem. Venerabilis forderte Worte statt Waffen.

Wo Licht ist, ist auch Schatten. So respektvoll er mit den Sarazenen umgegangen ist, um so schwieriger ist seine Haltung gegenüber den Juden aus heutiger Sicht zu beurteilen. Er betrachtete sie als Menschen, die wenig mehr als Tiere zu sein scheinen. Sie seien die wahren Feinde der Christen und die Mörder Christi. Als 1146 eine Sondersteuer zur Finanzierung des Zweiten Kreuzzuges eingeführt werden sollte, sprach er in seiner Schrift “Adversus Judaeorum”: “Es geht nicht an, gegen die Sarazenen zu ziehen, so lange die Juden, die eigentlichen Feinde Christi, in unserer Mitte verschont bleiben.” Damit war er ein Kind seiner Zeit und trug zur Argumentation der spätere Judenverfolgung im Mittelalter bei.

Leider scheint der Mensch immer ein Feindbild haben zu müssen, wenn er eines verläßt. Die Zeiten scheinen sich zu wiederholen. Auch heute sehen wir Parallelen: Da redet doch wieder ein Ex-Politiker und Wirtschaftsexperte von genetisch bedingter Dummheit eines Teils der Bevölkerung, spricht von “Kopftuchmädchen” ect. und schreibt darüber ein Buch. Deshalb tut es gut, sich mit Geschichte zu befassen und zu sehen, das es nichts Neues unter der Sonne gibt. Das Herz des Menschen hat sich auch nach 1000 Jahren nicht verändert.

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