Wladimir I. von Kiew hat aus seinen zahlreichen Ehen und Konkubinaten neben den Söhnen auch etliche Töchter, die nach dem nordischen Rechtsbrauch den Rang des Vaters innehaben. Die Rus führen nicht nur Kriege gegen Byzanz und andere angrenzende Staaten und Stammesgebiete, um ihre Handelswege zu sichern, sondern nutzen auch die Form der familiären freundschaftlichen Verbindung, um Allianzen zu festigen. Das spart zumindest für eine gewisse Zeit militärische Ressourcen. Im Zweifelsfall freilich wird auf familiäre Bindungen gar keine Rücksicht genommen – wenn es um die Macht geht, sind selbst Brüder und Väter ihres Lebens, zumindest aber ihrer Gesundheit und körperlichen Unversehrtheit nicht sicher.
Nach der Hochzeit mit Anna von Byzanz im Jahre 988 ist Wladimir I. eine Persönlichkeit von europäischem Rang und diplomatischem Gewicht – Schwager des Kaisers von Byzanz! Etwa ab 990 sind die älteren Töchter bereits heiratsfähig – im Mittelalter waren Mädchen schon mit 12 Jahren so weit…
Pred(e)slawa, Tochter aus der Ehe mit Rogneda (?, * 981), wird mit Herzog Boleslaw III. dem Roten von Böhmen verheiratet. Das Paar hat eine Tochter.
Zu Beginn seiner Regierung als Herzog, also etwa um 1000, hat Boleslav III. seine Tochter mit einem Adligen aus dem Geschlecht der Vrsovci verheiratet, die das Gefolge des Fürsten stellen; diesen Schwiegersohn aber hat er 1003 eigenhändig umgebracht. Man hat im Mittelalter auch schon Kinder verheiratet, um die Erbfolge zu sichern!
Daß Boleslaw III. diesen Schwiegersohn und damit Kronprinzen umbringt, verdeutlicht, wie unberechenbar er war. Mit Hilfe der Vrsovci hat er die Slavnikiden, ein anderes böhmisches Adelsgeschlecht, nahezu ausgelöscht. Auch gegen seine Brüder Jaromir und Udalrich geht er ganz und gar nicht zimperlich vor. Mit seinem Herrschaftsantritt 999 läßt er den älteren Jaromír kastrieren – Udalrich entkommt nur knapp einem Mordanschlag; sie fliehen mit ihrer Mutter Hemma nach Regensburg in den Schutz Kaiser Heinrichs II.
Schon 1002 hat sich der böhmische Adel samt den Gefolgsmannen Boleslavs gegen ihn gewendet und Vladivoj, einen Cousin aus dem Premyslidengeschlecht, mit Hilfe von Boleslaw I. Chrobry als Herzog eingesetzt. Dieser freilich säuft sich dem Vernehmen nach binnen Jahresfrist zu Tode. Boleslav III. flüchtet zu Markgraf Heinrich von Schweinfurt, der ihn aber festsetzt und nach einiger Zeit an seinen Verbündeten Boleslaw I. Chrobry übergibt. Dieser verhilft ihm wieder zurück auf den Thron in Böhmen. Nach dem Mord an seinem Schwiegersohn aber wenden sich alle gegen ihn. Erneut ruft man den Polenkönig, selbst Sohn einer Böhmin, zu Hilfe. Dieser nimmt den Rotschopf gefangen und bringt ihn nach Krakau (1003), wo er geblendet wird. Er stirbt 1037 in Krakau, von Frau und Tochter schweigen die Quellen. Boleslavs III. Schwiegervater, Wladimir, greift in die Wirren nicht ein – als hätte das Experiment mit dem böhmischen Verbündeten leider nicht geklappt.
Eine Tochter “ohne” Namen verheiratet Wladimir mit dem verwitweten Bernhard I. von Haldensleben, Markgraf der Nordmark. Die Familie der Haldensleben stand dem Herrscherhaus der Sachsenkaiser sehr nahe und war mit dem polnischen Königshaus verschwägert. Ungefähr zur gleichen Zeit heiratet Wladimir selbst erneut, nachdem Anna Porphyrogenneta 1011 gestorben war – und zwar Adelheid von Schwaben, eine Tochter Herzog Konrads I. von Schwaben und Elsaß, der wiederum zur Familie des Salischen Kaiserhauses gehörte. Diese Verbindung der Tochter gilt als nicht-ebenbürtige Ehe (die Fürstentochter steht über dem Markgrafen); das Paar hat einen Sohn namens Otto. Dieser fällt im Kampf um sein Erbe 1057 – auch diese Beziehung führte, was Allianzen angeht, in eine Sackgasse.
Premislawa, *~985, wird um 1000 mit Herzog Ladislaus (László) dem Kahlen von Ungarn (Sohn von Herzog Michael von Ungarn und Adelheid von Polen) verheiratet. Diese Adelheid ist eine Schwester (oder Tochter) von Herzog Mieszko I. Herzog Michael wird auf Veranlassung seines älteren Bruders Géza (Geisa) 995 ermordet, da er dem Großfürsten aller Ungarn zu mächtig und selbständig geworden ist. Die Söhne Michaels (und nicht auch die Mutter?) fliehen ins Ausland. Das könnte Polen sein, denn die Mutter stammt da her – aber auch die zweite Frau des Großfürsten…. Also sollte man vielleicht doch lieber nach Böhmen, oder Bulgarien – oder in die Kiewer Rus gehen. Die Ehefrau von Großfürst Swjatoslaw I. und Stiefmutter von Wladimir war schließlich ebenfalls eine ungarische Prinzessin, Predslawa geheißen. Ihr Vater Tormás ist ein Urenkel Árpáds. Ihr Bruder Koppány beansprucht nach Gézas Tod 997 die Herrschaft über alle Ungarn nach dem Senioratspinzip, wird aber von Vajk, Gézas Sohn, 998 bei Vesprém geschlagen und noch auf dem Schlachtfeld hingerichtet.
Vazul, der ältere Sohn Michaels, heiratet Katun, eine Tochter des bulgarischen Zaren Samuil, und wird durch sie Vater zweier Könige – Andreas I. und Bela I. von Ungarn. Von 1029 bis 1031 ist er Lehnsherzog im Fürstentum Neutra, das an Polen gefallen war, – bis es von Stephan I. von Ungarn zurückerobert wird. Dieser läßt nach dem tödlichen Jagdunfall seines Sohnes Imre im September 1031 seinen Cousin blenden, um zu verhindern, daß dieser als Senior der Familie ihm auf dem Thron nachfolgen würde. Vazuls Söhnen und auch dem Cousin Domoslav gelingt es, ins Ausland zu fliehen.
Der jüngere László wird von 1001 bis zu seinem Tode 1029 Lehnsherzog des (polnischen) Fürstentums Neutra und Vater eines Sohnes, Domoslav.
Boleslaw I. Chrobry schickt ungefähr 1013 seinen Bischof Reinbern von Kolberg, einen Sachsen, als Brautwerber nach Kiew – er möchte seine dritte Tochter gerne mit Swjatopolk, Wladimirs Stiefsohn verheiraten. Die Ehe kommt zwar zustande, aber die anschließenden Verwicklungen bringen einigen Beteiligten Kerkerhaft ein – Swjatopolk und seiner jungen Gattin ebenso wie dem pommerschen Bischof. Auch von dieser jungen Frau ist der Name nicht überliefert. Vermutlich hatte das Prinzenpaar keine Gelegenheit (oder nicht ausreichend…), für Nachkommen zu sorgen. Allerdings kann Boleslaw I. Chrobry in der Zeit von 1013 – 1018 im Gebiet der Kiewer Rus eine nicht unwichtige Rolle spielen und Teile Polens, die unter Wladimir I. an Kiew gefallen waren, zurückgewinnen. Ob seine Tochter die kriegerischen Auseinandersetzungen überlebt hat, ist nicht überliefert.
© Amhara zu Agorá
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