Mittelalter for Beginners – Teil 3 – Die Grundausstattung

23. November 2014
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Das Mittelalter - erlebe es selbst

Die folgenden Infos beziehen sich schwerpunktmäßig auf das Hochmittelalter und unseren regionalen Kulturkreis (beinhaltet also weder Orientalen noch Skandinavier o.ä.). Viele Sachen kann man auf andere Zeiten übertragen, aber nicht alles. Wer sich für andere Epochen und Kulturen interessiert, sollte sich entsprechend informieren!

Materialien:

Es würde den Rahmen sprengen, hier ausführlich über alle Materialien für Gewandungen zu informieren. Daher im Folgenden nur ein paar Grundlagen, die dafür auf fast alle Sparten des Mittelalters übertragbar sind:

Wolle war DAS Material für Oberbekleidung. Außerdem ist Wolle einfach unschlagbar vom Tragekomfort her. Und NEIN, Wolle muss nicht zwangsläufig warm sein, und NEIN, Wolle muss auch nicht zwangsläufig kratzen! Wollstoffe sind in der Regel teurer als Baumwollstoffe u. ä., aber die Anschaffung zahlt sich aus.

Leinen kam fast nur für Unterkleidung zum Einsatz, da man es kaum färben konnte. Und im Mittelalter liebte man es bunt!

Die Oberschichten schmückten sich auch schon mit Seide oder Mischgeweben. Aber selbst beim Hochadel waren solche Materialien nicht die Regel! Daher können wir diese Materialien als Einsteiger getrost außen vor lassen.

Der allseits beliebte Pannésamt sowie Kunstfasern aller Art sollten dem Fasching vorbehalten sein! Sieht immer mies aus und der Tragekomfort ist eine Katastrophe!

Über Baumwolle kann man streiten. Genaugenommen gab es mit Mittelalter fast keine reinen Baumwollstoffe, allenfalls Mischgewebe mit Baumwolle. Weit verbreitet war sie ganz sicher nicht, schon gar nicht bei einfachen Ständen. Allerdings sollte man bei einer Anfangs-Ausstattung auch mal ein Auge zudrücken können, und wenn das Schnittmuster passt, darf es ruhig auch mal Baumwolle oder ein Mischgewebe damit sein.

männliche Darstellung mit schlichter Cotta Bundhaube und Filzmütze

männliche Darstellung mit schlichter Cotta Bundhaube und Filzmütze (eigene Aufnahme/ Archiv Bruder Johannes)

Noch ein paar Worte zur Farbwahl:
Bei einfachen Ständen sollte man eher zu gedeckten Farben greifen. Naturtöne passen immer sehr gut. Für Sonntage liebten es aber auch einfache Leute bunt und färbten auch blau oder rot. Aber auch hier sollte man nicht zu grelle Farben verwenden, eher etwas fahlere Varianten wählen.
Gelb war übrigens entgegen der landläufigen Meinung nicht grundsätzlich dem “Horizontalen Gewerbe” vorbehalten! Um unnötige Diskussionen zu vermeiden, sollte man sicherheitshalber dennoch darauf verzichten.

Selbermachen oder kaufen?

Es gibt in den Weiten des Internets und auf den Märkten zahllose Händler für mittelalterliche und pseudo-mittelalterliche Gewandungen. Zwar ist das Angebot in den letzten Jahren etwas hochwertiger geworden, aber das Gros der Händler bietet nach wie vor ein Sortiment an, das historisch in keiner Weise akzeptabel ist, da Schnitte und Materialien nicht den damaligen Gegebenheiten entsprechen. Zudem sind die Preise teilweise arg über der Schmerzgrenze gelegen…
Wer ein wenig handwerkliches Geschick mitbringt, sollte daher besser selber zu Nadel und Faden greifen. Die meisten Schnitte des Mittelalters sind sehr einfach und können auch von Näh-Anfängern leicht nachgearbeitet werden. Die unten aufgeführten Bücher bieten einen sehr guten Einstieg in die Materie.

Eine einfache und gute Grundausstattung könnte etwa so aussehen:

ER
Einfaches Unterhemd aus Leinen oder Wolle; vom Schnitt vergleichbar einem Nachthemd; knielang, auf jeden Fall kürzer als die Oberbekleidung; kleiner Halsausschnitt, gerade, schmale Ärmel (ein Unterhemd ist kein Muss für den Einstieg, kann aber gerade im Winter sehr praktisch sein!).

männliche Darstellung mit Unterwäsche

männliche Darstellung mit Unterwäsche (eigene Aufnahme/ Archiv Bruder Johannes)

Oberbekleidung:
Einfache Tunika: Ein “Hemd”, mindestens knielang, sehr einfach geschnitten. Lange Ärmel, nicht zu weit. Material Wolle (alternativ und mit einem zugekniffenen Auge auch Baumwolle oder Leinen); Männer hatten häufig einen sogenannten Reitschlitz, d. h. einen Einschnitt mittig vorne und hinten vom Saum bis zum Schritt, damit das Reiten ermöglicht war, bzw. eine größere Beinfreiheit gewährleistet war.

Beinkleid:
Korrekt wäre als Beinkleid eine Bruch + Beinlinge. D. h. wir haben eine Unterhose, an die die Beinlinge, im Prinzip ein paar Strümpfe, angenestelt werden. Obwohl die Bruch ein sehr bequemes Kleidungsstück darstellt, ist sie sicherlich nicht jedermanns Sache. Eine einfache Baumwollhose mit schmal geschnittenen Beinen kann daher für den Anfang durchaus als Alternative herhalten. Viele Mittelalterdarsteller kommen von der Baumwollhose aus Überzeugung nicht weg. In nordischen Kulturkreisen gab es dagegen auch “richtige” Hosen in verschiedenen Varianten.

Kopfbedeckung:
Bundhaube (diese „Babymützchen“, zum Schutz der Haare); einfache Mütze; Strohhut. Dies alles kann, muss aber nicht.

SIE
Einfaches Unterhemd aus Leinen oder Wolle; vom Schnitt vergleichbar einem Nachthemd; knöchellang, auf jeden Fall kürzer als die Oberbekleidung; kleiner Halsausschnitt, gerade, schmale Ärmel (ein Unterhemd ist kein Muss für den Einstieg, kann aber gerade im Winter sehr praktisch sein!).

Oberbekleidung:
Cotta (einfaches Kleid), bodenlang; lange, eher schmale Ärmel. Einfacher, untaillierter Schnitt. Wolle. Keine “Fledermausärmel”, keine Schnürung an den Seiten, kein überflüssiger Schnick-Schnack. Kleiner Halsausschnitt.
Die einfache Frau war somit eigentlich schon fast fertig. Diese einfachen Frauenkleider gibt es durch viele Epochen und Kulturkreise, sie dienen als perfekte „Basics“ für alle möglichen Darstellungen.
Über diesen Kleidern wurden häufig Überkleider getragen, die je nach Zeit und Kultur unterschiedlich ausfielen. Es gab Varianten mit und ohne Ärmel, im Hochmittelalter tauchten die „Höllenfensterkleider“ auf mit sehr weitem Ärmelausschnitt, im Spätmittelalter gab es Überkleider mit aufwändigen Knopfleisten und Wikingerfrauen trugen eine Art Schürzenkleid. Es würde zu weit führen, hier alle Modeerscheinungen aufzuführen, hier muss auf weiterführende Literatur verwiesen werden!

Aufpeppen lässt sich so eine Grundausstattung beispielsweise mit Stickereien am Halsausschnitt oder auch den Ärmelsäumen. Aber Vorsicht! Bitte nicht diese modernen Web- oder Jacquard-Borten verwenden, so etwas gab es damals garantiert nicht, und es setzt den Wert der Gewandung eher herab, als dass es aufwertet! Weniger ist manchmal mehr!

Kopfbedeckung:
Unverheiratete Frauen trugen die Haare gerne offen, manchmal mit einem Schapel (Stirnreif oder Blumenkranz) versehen (den gab es auch bei jungen Männern).
Verheiratete Frauen bedeckten ihre Haare und trugen entweder ein Kopftuch oder einen Schleier (ähnlich wie heute noch die Nonnen). Auch Strohhüte sind denkbar. Auch hier gibt es eine Vielzahl von Varianten, für Anfänger wäre ein einfaches Kopftuch sicher eine gute Wahl!

Darstellung einer Dame aus dem niederen Adel um 1250 (eigene Aufnahme/ Archiv Bruder Johannes)

Darstellung einer Dame aus dem niederen Adel um 1250 (eigene Aufnahme/ Archiv Bruder Johannes)

Zubehör für beide Geschlechter

Schuhe
Oft sieht man auf Märkten schöne Gewandungen in Kombination mit modernen Schuhen oder solchen aus dem Kostümbereich. Wirklich schade! Schuhe sind eine Investition, bei der man nicht unbedingt sparen sollte, es lohnt sich! Aber welche?
Bitte keine Stulpenstiefel, Prinzessinnen-Treter oder welche mit auffälligem Absatz kaufen! Einfache, flache Lederschuhe, knöchelhoch ohne Schnick-Schnack und möglichst wenig Schnallen und sowas. Naturbraun passt immer. Von der Optik her gilt: weniger ist mehr!

Originalgetreue Schuhe sind „wendegenäht“, sprich, die haben keine feste Sohle wie moderne Schuhe, sondern die Sohle besteht aus dem gleichen Material wie das Oberleder. Wer es ganz genau haben möchte, kann auf solche Schuhe zurückgreifen. Für „Otto-Normal-Mittelaltermenschen“ sind einfache Lederschuhe mit fester Sohle die bessere Wahl, da sie auf heutige Wegeverhältnisse angepasst sind.

Mäntel
Der Radmantel ist allseits sehr beliebt und ist ein fast unverzichtbares Kleidungsstück für Wetter aller Art! Er sollte unbedingt aus gutem Wollstoff gefertigt sein (bitte keine Harry-Potter und Dracula-Varianten aus Faschingsseide zum Einsatz bringen!!!). Korrekt wäre ein Mantel ohne Kapuze, heutzutage sind die meisten Mäntel mit Kapuze ausgestattet. Nicht korrekt, aber praktisch.
Wer es genau haben möchte, kombiniert den Radmantel mit einer Gugel (so hat man das früher jedenfalls gemacht).

Ein weiterer, sehr praktischer Mantel ist die Cappa. Ein einfacher Überwurf, vergleichbar mit einem Poncho, mit Kapuze und gut knielang schützt er hervorragend gegen Kälte und Regen. Auch hier unbedingt auf hochwertiges Material achten!!!

Darüber hinaus gibt es noch eine Vielzahl weiterer Mantelformen. Auch das würde hier den Rahmen sprengen. Bitte orientiert euch hier ebenfalls an der jeweiligen Darstellung und informiert euch weiter.

Beim Mantel lohnt es sich, etwas tiefer in die Tasche zu greifen und gleich gute Qualität zu kaufen. Ein ordentlicher Wollmantel hält jahrelang und ist bei guter Pflege nahezu unverwüstlich. Und nichts ist ärgerlicher, als bei kaltem oder nassem Wetter mit einem minderwertigen Mantel auf einem Markt herum zu schlottern!

Praktisches Zubehör
Einfacher Leder-Lang-Gürtel ohne Schnick-Schnack
Einfache Umhängetasche aus Leinen für alles, was man so mit sich trägt
Messer und Löffel, entweder am Gürtel oder in der Tasche mitgeführt

Gürteltaschen sind mit Vorsicht zu genießen, sie sind nicht für alle Epochen belegbar (aber dennoch eine sehr praktische Erfindung!).

Fertig!
Mit einer solchen Ausstattung kann man sich durchaus schon sehen lassen! Und nun hat man genügend Zeit, sich über weitere Ausschmückungen der Darstellung Gedanken zu machen. Diese Grundausstattung lässt sich ohne Probleme beliebig erweitern und ergänzen. Zieht ER zu seiner einfachen Tunika einen schön gearbeiteten Surcot an, taugt er schon zum einfachen Adligen oder zivil gewandeten Ritter. Und SIE kann beispielsweise ihr schlichtes Unterkleid mit einer Trägerschürze zu einer Wikinger-Gewandung transformieren. Oder sie wird mit einem ärmellosen Überkleid zu einer Dame aus dem niederen Adel. Die Möglichkeiten sind nahezu grenzenlos.

Und hier hilft dann wieder der Tipp aus dem Einführungsbeitrag: erst informieren, dann kaufen! Erst über die gewählte Epoche recherchieren, dann erst die Gewandung erarbeiten!

Bildnachweise:
Die besten Nachweise für die Zeit des Hochmittelalters finden sich in der sog. Kreuzfahrerbibel (auch Maciejowski Bibel):
http://www.medievaltymes.com/courtyard/maciejowski_images.htm

Literaturempfehlung:

Kleidung & Waffen der Früh- und Hochgotik 1150-1320, Ulrich Lehnart
DAS Standartwerk zum Thema! Absolut und uneingeschränkt empfehlenswert!

Kleidung des Mittelalters selbst anfertigen; Grundausstattung für den Mann/Grundausstattung für die Frau
Sehr gute, und leicht verständliche Anleitungen, absolut leicht nachvollziehbar.

Absolut empfehlenswert ist auch dieses Werk:
Mittelalterliches Schneidern: Historische Alltagskleidung zwischen 1200-1500 selbst gemacht von Sarah Thursfield und Britta Nurmann

Wer Interesse an historischen Schnittmustern hat, dem sei diese Seite empfohlen:
http://www.personal.utulsa.edu/~marc-carlson/cloth/bockhome.html

Es gibt zahllose weitere Bücher zum Thema. Alle hier aufzuführen würde den Rahmen sprengen. Für den Einstieg sind die oben genannten Bücher jedoch völlig ausreichend. Wer mehr wissen will, muss auf weiterführende Literatur zurückgreifen.

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