Es war noch früh am Morgen. Draußen dämmerte es gerade. Vor dem Fenster war lautes Vogelgezwitscher zu hören. Auch im Haus regte sich schon etwas. Vermutlich waren die Bediensteten gerade dabei, alles für den Tag vorzubereiten. Sein großer Tag! Wohlig streckte er nochmals seine Glieder im warmen Bett aus und sprang dann heraus. Voller Tatendrang riss er die Tür auf, um sich die Kupferwanne herrichten zu lassen.
Nach dem Bad schlüpfe Dietmar in die seidenen Gewänder. Gerade als er fertig war, läutete die Glocke der Kapelle. Der Kaplan war bereit zur Ostermesse. So eilte er die Stufen hinab. Schon als er eintrat, hatte er sie gesehen. Sogleich hatte sein Herz schneller geschlagen. Mit weichen Knien stellte er sich neben seinen Bruder. Wie sich zeigte, konnte er sich auf die Messe kaum konzentrieren. Von hier aus konnte er von ihr kaum etwas sehen. Verstohlen drehte er seinen Kopf. Aber sogleich erscholl ein Räuspern neben ihm und er riss sich zusammen. Er konnte es kaum erwarten, hier raus zu kommen. Beherrschte er denn auch seinen Text noch? Eigentlich hatte er sich seit Wochen auf diesen Tag vorbereitet. Wie fing es nur an?
Es stand eine Frau alleine
Und sah über die Heide
Und wartete auf ihre Liebe
Da sah sie einen Falken fliegen
Vorsichtig schaute er sich wieder um. Sie saß in der vorletzten Reihe. Die Locken waren kunstvoll um ihren Kopf drapiert. Ein wenig Puder hatte sich darin verfangen. Das Kleid, leuchtend grün, umspielte ihre Figur. Und wieder war es sein Bruder, der ihn in die Wirklichkeit zurückholte. Gerade holte der Kaplan tief Luft, um seine Predigt fortzusetzen. Er erging sich über die Auferstehung. Auch wenn er sich bemühte, konnte er sich einfach nicht auf die Worte konzentrieren. Was würde dafür geben, sich neben sie zu setzen und seine Hand auf die ihre zu legen. Er schüttelte den Kopf. Nein – jetzt war nicht die rechte Zeit dafür. Kurz darauf verließ er mit den anderen die Kapelle. In Gedanken haderte er weiter mit seinem Text.
Wie gut für dich, Falke, wie du bist
Du fliegst, wohin du möchtest
Du wählst dir in dem Wald
Einen Baum, der dir gefällt
Im Rittersaal war alles bereit für die Feierlichkeiten an diesem Tage. Viele Gäste waren angereist. Und so war es nicht verwunderlich, dass ihn nun seine Gegner im Wettstreit neugierig beäugten. Zeigte er Schwäche? Würden sie leichtes Spiel haben? Nein, das würde er nicht zulassen. Er straffte seine Haltung und hob den Kopf ein wenig höher. Seine Miene wurde etwas härter. Diese Emporkömmlinge würden keine Aussicht auf Erfolg haben. Gleich würde es beginnen. Sein Vater stand bereits auf, um seine Rede zu halten. Die Gäste wollten begrüßt und das Zeremoniell eingehalten werden. Sein Blick wanderte durch den Saal. Seinem Bruder, der ihn beobachtete, nickte er kaum merklich zu. Nur seine Herzensdame konnte er nicht entdecken.
So hab’s auch ich getan
Ich suchte mir selbst einen Mann
Den meine Augen erwählten
Das neiden mir schöne Frauen
Nun war es soweit. Er konnte seinen Vortrag beginnen. Er war der Letzte am heutigen Tage. Gerade als er vortrat und Luft holte, erblickte er sie. Wie wunderschön sie doch war! Einfach unglaublich! Wie konnte sie ihn nur so verlocken? Wo sie doch unerreichbar für ihn war. Sein Vater würde nie zulassen, dass er sich ihr nähern würde. Er hatte Größeres vor. Da passte sie einfach nicht in seinen Plan. Aber dennoch konnte er seine Blicke nicht von ihr abwenden. So begann er wie verzaubert und die Worte schienen wie von selbst seinen Mund zu verlassen. Kaum nahm er selbst wahr, was er sprach.
Oh weh, dass sie mir meine Liebe nicht lassen!
Wahrlich noch nie neidete ich einen der ihren.
Tosender Applaus brach los. Schnell war er von unzähligen Menschen umringt. Alle zerrten und zogen sie an ihm. Nachdem sich der Lärm gelegt hatte und er sich losreißen konnte, trat er zu den Anderen. Sein Vater stand auf und blickte jedem einzelnen ins Gesicht. Dieser Wettstreit war nach seinem Geschmack. Weit mehr als Ritterturniere mochte er den Vortrag der Minnesänger. Und so kam es, dass er plötzlich mit einem Strahlen im Gesicht den Sieger verkündete.
Anmerkung: Die verwendeten Zitate stammen aus "Ez stuont ein frouwe alleine" von Dietmar von Aist.
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