Ihre jüngste Tochter benannten Mieszko II. und Richeza nach der Heiligen Gertrud von Nivelles. Sie wird um 1020 geboren worden sein und ist 1043 mit Isjaslaw I., dem ältesten Sohn Jaroslaws des Weisen, Großfürsten von Kiew, verheiratet worden. Diese Eheschließung hat ihr Vater nicht mehr erlebt, der bereits 1034 gestorben ist. Da aber von Kiew aus immer wieder Gefahr für das polnische Königreich droht, ist diese Verbindung aus sicherheitspolitischen Interessen mehr als geboten. Der russische Thronfolger ist etwa im selben Alter wie die Prinzessin.
Vermutlich wurden die Eheverbindungen mit Kaiser Heinrich III., Herzog Kasimir von Polen (dem Bruder Gertruds), Richeza von Polen (der Mutter) sowie Großfürst Jaroslaw von Kiew ausgehandelt. Fast zeitgleich nämlich heiratet Kasimir eine Schwester des Großfürsten, Dobroniegra Maria.
Auch in Polen hat der Fürst keine feste Residenz, sondern zieht von einem Herrensitz zum nächsten. Und gerade die Zeit von 1025 bis 1034 ist für Polen extrem unruhig. Es gibt mehrere Kriege, gewaltsame Herrscherwechsel und Verluste von Landesteilen. Die Königskinder hatten keine behütete Kindheit, wie wir uns das so märchenhaft vorstellen! Vermutlich kamen die drei Kinder von Richeza bereits sehr früh in eine sichere Umgebung. Und die war nicht in Polen zu finden. Es boten sich allein die Reichsstifte westlich der Oder an. So wird Gertrud möglicherweise in Nivelles, sicherlich aber im Umfeld Kölns erzogen worden sein, wo ihr Onkel, Erzbischof Hermann, für die besten Bedingungen sorgen konnte.
Aus der Ehe mit Isjaslaw hat Gertrud mindestens drei, eventuell sogar sechs, Söhne und vielleicht auch noch eine Tochter.
Beim Tode seines Vaters 1054 erhält Isjaslaw das wichtigste Teilfürstentum der Kiewer Rus, nämlich die Hauptstadt Kiew und das Handelszentrum Nowgorod. Zunächst regiert er einvernehmlich mit zwei Brüdern und kann einen entfernten Verwandten, der es auf Nowgorod abgesehen hat, bis 1067 auf Distanz halten. Aber nach einer vernichtenden Niederlage 1068 wählt die Bevölkerung ihren Großfürsten ab und setzt den Sieger ins Amt. Daraufhin flieht Isjaslaw (sicherlich mit Frau und Kindern) zu seinem Neffen nach Polen, erhält dort nicht nur Aufnahme, sondern auch Hilfe, und kann bereits 1069 siegreich nach Kiew zurück kehren. In diesem Jahr stirbt sein ältester Sohn, der ungefähr 25 Jahre alt geworden ist. Und der polnische Fürst hat ihm bei dieser Gelegenheit alle Wertsachen entwendet.
1073 vertreiben die Kiewer ihren Großfürsten erneut, diesmal mit der Unterstützung seiner leiblichen Brüder. Wieder flieht Isjaslaw nach Polen und dann weiter zu Kaiser Heinrich IV. Es dauert drei Jahre zähen diplomatischen Verhandelns mit dem Kaiser, dem Papst und dem polnischen Herzog, bis der Großfürst nach Kiew zurückkehren kann. In seinem letzten Regierungsjahr 1077/78 hat Isjaslaw sich gegen einen um sein Erbe gebrachten Neffen zu wehren. In der entscheidenden Schlacht am 03.10.1078 sind sie beide gefallen.
Gertrud lebt in einer unruhigen Zeit. Von Osten drängen immer wieder halbnomadische Turkstämme in das Land an der Wolga und in die ukrainischen Steppengebiete. Zugleich möchte der Herzog oder König von Polen sein Gebiet wieder auf die Größe ausdehnen, die es unter Boleslaw I. Chrobry gehabt hatte.
Zwischen Kaiser und Papst tobt der Investiturstreit – wer domiert wen? Und es ist die Zeit des Großen Schismas: 1054 haben sich der römische Papst und der byzantinische Patriarch gegenseitig exkommuniziert. Aus der Einen Kirche werden unaufhaltsam mehrere. Der Papst beansprucht die absolute Führung auch in weltlichen Dingen. Er will Kaiser und Könige nicht nur krönen, sondern auch absetzen.
Großfürstin Gertrud hat von ihrer Mutter, Königin Richeza, ein wertvolles Buch geschenkt bekommen (wohl zur Hochzeit): den Gertrud-Psalter (oder auch Egbert-Psalter; Cividale del Friuli). Ursprünglich ist die Psalmenhandschrift für Egbert, Erzbischof von Trier und Kanzler von Kaiser Otto II., im Kloster Reichenau angefertigt worden. Gertrud nutzt die Handschrift als persönliches Gebets- und Meditationsbuch. Die Fürstin bereichert es im Laufe der Jahre mit zusätzlichen Miniaturen und persönlichen Gebeten. Nach Gertruds Tod am 04.01.1107 bekommt es eine Enkeltochter, Zbyslawa (Herzogin von Polen) in Krakau.
Obwohl sie nach anderen Urkunden zwei lebende Söhne hat, betet sie nur für den “unicus filius Jaropolk-Petr” und niemals für ihren Ehemann – höchstens einmal indirekt. Allerdings gibt es Stellen in diesem Buch, wo Namen herausgekratzt wurden (auf Pergament kann man nicht radieren, nur abschaben). Als “lateinische” Christin in orthodoxer Umwelt verbindet Gertud in ihren Gebeten beide Vorstellungswelten miteinander. Die von ihr dem Psalter hinzugefügten Miniaturen gehören zu den ältesten erhaltenen Buchmalereien mit russischem Einschlag.
Der Psalter gehört zu den herausragenden Zeugnissen der ottonischen Buchmalerei und wurde in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen.
© Amhara zu Agora
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